Die Nebel von Avalon
fürchten, wenn er den Klang der Kirchenglocken hinter sich läßt?«
In Vivianes Augen trat ein belustigtes Glitzern, als sie antwortete: »Beide sind stolze Männer und hervorragende Krieger, beide führen ein Leben ohne Tadel… selbst nach den Maßstäben der Druiden. Sie fügen niemandem Schaden zu, sie bringen niemanden unters Joch, und sie versuchen, jedes Unrecht gutzumachen, das ihnen bekannt wird. Ich zweifele nicht daran, daß sie den Sachsen doppelten Schrecken bereiten, wenn sie Seite an Seite gegen sie kämpfen. Sie fürchten nichts und niemanden… außer der bösen Magie der verruchten Zauberin, die die Mutter des einen ist…« Viviane lachte wie ein junges Mädchen, und Morgaine kicherte ebenfalls. Wieder ernst, sagte sie: »Ich bedaure es nicht, Balan in die äußere Welt geschickt zu haben, damit er dort seinen Platz findet. Er war nicht zum Druiden berufen, und er wäre kein guter geworden. Obwohl er für die Göttin verloren ist, wird sie auf ihre Weise immer noch über ihn wachen, auch wenn er mit dem Perlenkranz in der Hand zu ihr betet und sie Jungfrau Maria nennt. Nein, Balan ist an der Küste und kämpft an Uthers Seite gegen die Sachsen. Mir ist das ganz recht. Ich habe von meinem jüngeren Sohn gesprochen.«
»Ich dachte, Galahad sei in der Bretagne.«
»Ich auch. Aber gestern abend hat das Gesicht ihn mir gezeigt. Er ist
hier… Als ich ihn das letzte Mal sah, war er erst zwölf Jahre alt. Er ist inzwischen fast ein Mann geworden, sechzehn oder noch älter muß er sein, bereit, die Waffen zu tragen. Aber ich bin nicht sicher, ob er überhaupt das Kriegerhandwerk erlernen soll.« Morgaine lächelte, und Viviane erinnerte sich, daß Morgaine in den ersten Jahren, als sie noch einsam hier war, manchmal ihre freie Zeit mit dem einzig anderen Kind verbringen durfte, das hier erzogen wurde – mit Galahad.
»Ban von Benwick muß inzwischen alt sein«, bemerkte Morgaine.
»Alt? Ja, und er hat viele Söhne. Und
mein
Sohn ist unter ihnen nur einer der vielen Bastarde, die nicht von Bedeutung sind. Doch seine Halbbrüder fürchten Galahad und hätten es lieber, wenn er an einem anderen Ort wäre. Als Kind der Großen Ehe kann er nicht wie alle anderen Bastarde behandelt werden«, beantwortete Viviane die unausgesprochene Frage. »Sein Vater gab ihm Ländereien und Güter in der Bretagne. Aber noch ehe er sechs Jahre alt war, habe ich dafür gesorgt, daß Galahads Herz für immer hier an den See gebunden ist.«
Sie sah das Funkeln in Morgaines Augen und beantwortete wieder das Unausgesprochene.
»Ist es grausam, ihn für immer unzufrieden zu machen? Vielleicht… nicht ich war grausam, sondern die Göttin. Seine Bestimmung liegt in Avalon. Das Gesicht hat ihn mir gezeigt, wie er vor dem Heiligen Kelch kniet…«
Morgaine wiederholte die kleine zustimmende Geste, mit der die schweigenden Priesterinnen einen Befehl entgegennahmen, aber diesmal mit einem Anflug von Ironie.
Plötzlich ärgerte sich Viviane über sich selbst.
Ich sitze hier und rechtfertige vor einem Mädchen, was ich mit meinem Leben und dem Leben meiner Söhne angefangen habe. Doch Morgaine bin ich keine Rechenschaft schuldig.
Und sie sagte mit kühler und verhaltener Stimme: »Nimm die Barke und bringe ihn zu mir!« Zum dritten Mal stimmte Morgaine schweigend zu und wandte sich zum Gehen.
»Einen Augenblick noch«, hielt Viviane sie zurück, »du wirst mit uns essen, wenn du ihn gebracht hast. Er ist dein Vetter und auch mit dir verwandt.«
Als Morgaine daraufhin lächelte, wurde Viviane bewußt, daß sie versucht hatte, das Mädchen zum Lächeln zu bringen, und sie staunte über sich selbst.
Morgaine ging den Pfad zum Seeufer hinunter. Immer noch klopfte ihr Herz in Hast. In letzter Zeit kam es öfter vor, daß sich Zorn in ihre Zuneigung mischte, wenn sie mit der Herrin sprach. Es war ihr nicht gestattet, den Gefühlen freien Lauf zu lassen, und dies rief Merkwürdiges in ihr hervor. Sie wunderte sich über sich selbst, hatte man ihr doch beigebracht, ihre Gefühle ebenso zu beherrschen wie ihre Worte und ihre Gedanken.
An Galahad erinnerte sie sich aus ihren ersten Jahren in Avalon – ein magerer, dunkler, lebhafter Junge. Damals mochte sie ihn nicht sehr, denn ihr Herz sehnte sich nach dem kleinen Bruder Gwydion. Doch sie ließ zu, daß der einsame Junge sich an ihre Fersen heftete. Dann schickte man ihn an den Hof von König Ban. Und seither hatte sie ihn nur einmal gesehen – als Galahad zwölf Jahre zählte.
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