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Die Nebel von Avalon

Titel: Die Nebel von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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gleichmäßig ging. Dann band sie sich den langen weiten Rock so um die Hüfte, daß er ihr nur noch bis zu den Knien reichte, und kletterte das steilere und felsigere Stück des Berges hinauf. Sie hatte noch nie zuvor gezögert, ihre Beine zu entblößen; aber jetzt, wo sie wußte, daß sie ein anderer ansah, kam auch ihr in den Sinn, daß sie stark und wohlgeformt waren. Morgaine überlegte, ob er sie wirklich für unanständig hielt, schwang sich schließlich über den Felsrand nach oben und setzte sich in den Schatten der Ringsteine. Etwas später tauchte Lancelot auf und ließ sich keuchend neben sie fallen.
    Als er wieder sprechen konnte, sagte er: »Vermutlich bin ich zuviel geritten und zuwenig gelaufen und geklettert. Dein Atem geht noch nicht einmal schneller.«
    »Ich kenne den Aufstieg und nehme den Prozessionsweg nur selten«, erwiderte sie.
    »Auf der Insel der Priester sieht man nicht einmal den Schatten der Ringsteine«, sagte er.
    »Nein«, antwortete sie, »in ihrer Welt gibt es nur die Kirche und den Turm dazu. Mit dem Inneren Ohr können wir ihre Glocken hören… hier sind sie Schatten, und in ihrer Welt halten sie uns für Schatten. Manchmal denke ich, daß sie deshalb an unseren heiligen Festen die Kirche meiden, fasten und Vigilien halten – es ist ihnen nicht geheuer, die Schatten der Ringsteine um sich zu spüren. Vielleicht würden alle, die noch eine Spur des Gesichts besitzen, das Kommen und Gehen der Druiden um sie herum ahnen und sogar das Geflüster
ihrer
Gesänge hören.«
    Lancelot erschauerte, und einen Augenblick lang schien eine Wolke die Sonne zu verdunkeln. »Und du… hast du auch das Gesicht? Kannst du durch den Schleier hindurchsehen, der die Welten trennt?«
    »Jeder kann das«, antwortete Morgaine, »aber ich bin dessen besser kundig als die meisten Frauen. Und du, Galahad?«
    Wieder durchlief ihn ein Schauer, und er antwortete: »Ich bitte dich, nenne mich nicht bei diesem Namen.«
    Morgaine lachte. »Obwohl du unter Christen lebst, hängst du immer noch dem alten Glauben der Feen an, die sagen, wenn man den wahren Namen eines Wesens kennt, kann man seinen Geist beherrschen. Du kennst
meinen
Namen, Vetter. Wie also soll ich dich anreden? Lance… ?«
    »Nenne mich, wie du willst, nur nicht beim Namen, den meine Mutter mir gab. Ich fürchte ihre Stimme immer noch, wenn sie den Namen in einem bestimmten Ton ausspricht. Ich scheine diese Furcht mit der Muttermilch eingesogen zu haben…«
    Sie beugte sich zu ihm und legte eine Fingerspitze auf die Stelle zwischen seinen Augenbrauen, die für das Gesicht empfänglich war. Sie hauchte sanft dagegen und hörte, wie Lancelot erstaunt die Luft anhielt. Die Ringsteine über ihnen schienen sich in Schatten aufzulösen. Vor ihnen erstreckte sich jetzt der ganze Bergrücken. Neben einem niedrigen Steinturm mit dem kunstlosen Bild eines Engels stand eine kleine Kirche aus Flechtwerk und Lehm. Lancelot bekreuzigte sich schnell, als ein Zug grau verhüllter Gestalten sich ihnen zu nähern schien.
    »Können sie uns sehen, Morgaine?« flüsterte er heiser.
    »Vielleicht nehmen einige uns als Schatten wahr. Andere halten uns vielleicht für zwei von ihnen oder glauben, die Sonne blende sie und gaukle ihnen ein Trugbild vor«, antwortete Morgaine zögernd. Was sie ihm erzählte, war ein Mysterium, und darüber sollte sie mit keinem Uneingeweihten sprechen. Aber noch nie im Leben hatte sie sich einem Menschen so nahe gefühlt. Sie konnte es nicht ertragen, Geheimnisse vor ihm zu haben; deshalb machte sie Lancelot dieses Geschenk und beruhigte sich damit, daß die Herrin ihn für Avalon wollte. Was für ein Merlin würde er sein! Sie hörte den leisen Gesang:
O du Lamm Gottes, befreie uns von allem Bösen dieser Welt. Erbarm dich unser, Jesus Christus…
    Lancelot sang es leise, fast tonlos, während die Kirche verschwand und die Ringsteine wieder über ihnen aufragten.
    »Bitte«, sagte Morgaine ruhig, »es ist eine Beleidigung der Göttin, solches hier zu singen. Die Welt, die sie geschaffen hat, ist nicht böse, und keine ihrer Priesterinnen wird einem Menschen erlauben, sie böse zu nennen.«
    »Wie du willst.« Er schwieg, und wieder glitt der Schatten einer Wolke über sein Gesicht. Seine Stimme hatte so sanft und melodisch geklungen; als er aufgehört hatte zu singen, sehnte sie sich danach, sie wieder zu hören.
    »Spielst du Harfe, Lance? Deine Stimme ist schön genug für einen Barden.«
    »Ich habe es als Kind erlernt. Aber

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