Die Nebel von Avalon
später wurde ich erzogen, wie es sich für den Sohn eines Edelmannes schickt«, antwortete Lancelot. »Ich lernte nur, die Musik so sehr zu lieben, um mit meinem eigenen Gesang unzufrieden zu sein.«
»Wirklich? Ein Druide muß ein Barde sein, bevor er ein Priester wird. Denn die Musik ist einer der Schlüssel zu den Gesetzen des Universums.«
Lancelot seufzte. »Das ist eine Versuchung, und einer der wenigen Gründe, die ich sehe, dieser Berufung zu folgen. Aber meine Mutter möchte, daß ich in Avalon sitze und Harfe spiele, während die Welt um uns herum in Trümmer fällt und die Sachsen und die Wilden aus dem Norden alles niederbrennen… Hast du je ein Dorf gesehen, das von den Sachsen geplündert wurde, Morgaine?« Schnell beantwortete er die Frage selbst: »Nein, du lebst im Schutz von Avalon, in einer Welt, in der man solches nicht kennt. Aber ich muß immer daran denken. Ich bin ein Krieger, und ich fühle, daß es in unserer Zeit die einzige würdige Aufgabe für einen Mann ist, dieses schöne Land vor
dem Plündern und Morden zu schützen.« Er wirkte in sich gekehrt und schien schreckliche Dinge vor Augen zu haben.
»Wenn der Krieg etwas so Böses ist«, fragte Morgaine, »warum sollte man dann nicht hier Schutz suchen? Schon viele Druiden haben für diese letzte große magische Tat ihr Leben gelassen, um den heiligen Platz der Entweihung zu entheben. Wir haben nicht genug Männer, um ihre Plätze zu füllen.«
Lancelot seufzte. »Avalon ist schön. Wenn ich das Reich so friedlich machen könnte wie Avalon, würde ich frohen Herzens für immer hierbleiben und meine Tage damit verbringen, die Harfe zu spielen, Musik zu machen und mit dem Geist der Großen Bäume zu sprechen … Aber mir scheint, es ist nicht die Aufgabe eines Mannes, sich hier in der Sicherheit zu verkriechen, während draußen andere leiden… Morgaine, laß uns von etwas anderem sprechen, denn heute möchte ich vergessen. Die Welt draußen ist erfüllt von Hader und Kampf, und ich kam hierher, um ein oder zwei Tage Frieden zu finden. Willst du mir das nicht gewähren?« Seine tiefe und wohlklingende Stimme schwankte leicht, und die Qual, die daraus sprach, schmerzte Morgaine so sehr, daß sie einen Augenblick lang glaubte, sie müsse weinen. Sie griff nach seiner Hand und drückte sie. »Komm, du wolltest sehen, ob der Blick noch so ist, wie du ihn in Erinnerung hast…«
Morgaine führte ihn weg von den Ringsteinen, und sie blickten über den See. Das schimmernde Wasser, das die Insel umgab, kräuselte sich sanft im Sonnenlicht. Tief unten zog ein kleines Boot eine silberne Spur auf dem Wasser – von hier oben wirkte es nicht größer als ein springender Fisch. Andere Inseln tauchten in der Ferne undeutlich im Nebel auf. Der magische Schleier, der Avalon der Welt enthob, machte sie zu unbestimmten Gebilden.
»Nicht weit von hier«, sagte Lancelot, »liegt auf einem Hügel die alte Burg der Feen. Oben, von ihren Mauern aus, kann man den Berg und den See überblicken… und dort liegt eine Insel… fast wie ein Drachen.« Er wies mit seiner wohlgeformten Hand in die Richtung.
»Ich kenne den Ort«, entgegnete Morgaine. »Er liegt auf einer der alten magischen Linien der Macht, welche die Welt überziehen. Man brachte mich einmal dorthin, um die Kräfte der Erde zu spüren. Die Feen wissen Bescheid… Ich spüre sie ein wenig, diese Kräfte. Ich fühle die Erde und die Luft erzittern. Spürst du es auch? Als Vivianes Sohn fließt ihr Blut auch in dir.«
Lancelot sagte leise: »Hier auf der Magischen Insel ist es nicht schwer, des Bebens der Macht von Erde und Luft teilhaftig zu werden.«
Er drehte sich um, streckte sich und gähnte: »Das Klettern hat mich stärker erschöpft, als ich dachte. Auch ritt ich durch die ganze Nacht und würde mich nun gerne in die Sonne setzen und von dem Brot essen, das du mitgebracht hast.«
Morgaine führte ihn in die Mitte des Steinrings.
Wenn er überhaupt dafür empfänglich ist,
dachte sie,
wird er die ungeheure Kraft an dieser Stelle spüren.
»Lege dich auf die Erde, und du wirst von ihrer Kraft erfüllt«, sagte sie und gab ihm ein Stück Brot, das sie in der Küche dick mit Butter und Honig bestrichen hatte, ehe sie es in das Hirschleder wickelte. Sie aßen langsam und leckten sich den Honig von den Fingern. Er griff nach ihrer Hand, hob sie spielerisch an seine Lippen und leckte an ihrem Finger.
»Wie süß du bist«, sagte er lachend, und sie spürte seine Berührung am ganzen
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