Die Nebel von Avalon
früh hatte Gwydion ihr Herz erobert, und sie dann verlassen, wie die Jünglinge es taten, die zu alt wurden, um von den Priesterinnen unterrichtet zu werden. Die Druiden übernahmen seine weitere Ausbildung, und er übte sich im Gebrauch der Waffen. Nach einem Jahr war er an Beltane zurückgekehrt. Sie glaubte, er sei bei den Riten am Feuer mit Bedacht in ihre Nähe gekommen, und sie legte sich zu ihm…
Aber als der Sommer vorüber war, trennten sie sich nicht. Danach ließ sie ihn deutlich wissen, daß sie ihn begehrte, wann immer er nach Avalon kam, und Gwydion lehnte es nicht ab.
Ich stehe seinem Herzen am nächsten,
dachte sie.
Ich kenne ihn am besten… Was weiß Kevin schon von ihm? Und jetzt ist die Zeit gekommen. Er muß nach Avalon zurückkehren und sich als Hirschkönig bewähren…
Sie überlegte, welche Jungfrau sie für ihn wählen sollte.
Im Haus der Jungfrauen gibt es nur sehr wenige, die sich auch nur halbwegs für dieses hohe Amt eignen.
Plötzlich überkamen sie Schmerz und Angst.
Kevin hat recht. Avalon entschwindet in den Nebeln und vergeht. Nur noch wenige Menschen kommen hierher, um die Alten Weisheiten zu empfangen, und es gibt keine Jungfrauen, die die Rituale durchführen können… Eines Tages wird es überhaupt niemanden mehr geben…
Wieder spürte Niniane dieses beinahe schmerzliche Prickeln im Körper, das sie manchmal wie ein Aufflackern des Gesichts überfiel…
Gwydion kam wenige Tage vor Beltane nach Avalon zurück. Niniane begrüßte ihn förmlich an der Barke, und er verbeugte sich ehrerbietig vor den Jungfrauen und den versammelten Bewohnern der Insel. Aber als sie allein waren, nahm er sie in die Arme und küßte sie lachend, bis sie beide außer Atem gerieten.
Er hatte jetzt breite Schultern, und eine rote Narbe zog sich quer über sein Gesicht. Er hatte erlebt und gekämpft, sie konnte es nicht übersehen. Gwydion blickte sie nicht mehr mit den unschuldigen Augen des Priesters und Gelehrten an.
Mein Geliebter und mein Kind! Hat deshalb die Große Mutter nicht nach römischer Sitte einen Gemahl, sondern nur Söhne? Sind wir nicht alle ihre Kinder? Ich stehe an ihrem Platz, und deshalb ist mein Geliebter auch mein Sohn… Denn alle, welche die Göttin lieben, sind ihre Kinder…
»Das ganze Land ist voll der Kunde, daß Avalon, das Alte Volk aus den Hügeln und das Alte Volk auf der Dracheninsel wieder ihren König wählen… Du hast mich doch deshalb hierhergerufen, nicht wahr?«
Manchmal,
dachte sie,
kann er einen reizen wie ein altkluges Kind.
»Ich weiß nicht, Gwydion«, antwortete Niniane. »Vielleicht ist die Zeit noch nicht reif, und die Gestirne stehen nicht günstig. Außerdem vermag ich im Haus der Jungfrauen niemanden zu finden, der für dich die Frühlingskönigin sein kann.«
»Und doch wird es in diesem Frühjahr geschehen«, entgegnete Gwydion gelassen. »An diesem Beltanefest. Denn ich habe es gesehen.«
Niniane verzog den Mund und fragte: »Hast du auch gesehen, welche Priesterin das Ritual mit dir vollziehen wird, wenn du das Geweih getragen hast… vorausgesetzt, das Gesicht schickt dich nicht in den Tod.«
Gwydion stand ihr kühl und ruhig gegenüber. Aber seine Augen verrieten die verborgene Leidenschaft. Niniane dachte,
er ist noch schöner geworden.
»Das habe ich, Herrin«, antwortete er. »Weißt du nicht, daß du die Priesterin bist?«
Ihr wurde plötzlich eiskalt, und sie erwiderte: »Ich bin keine Jungfrau mehr. Willst du mich verhöhnen, Gwydion?«
»Und doch habe ich dich gesehen, Niniane«, erwiderte er, »und du weißt es so gut wie ich. In
Ihr
verschmelzen Jungfrau, Mutter und Todesbotin miteinander. Sie ist alt und jung, wie es ihr gefällt… Jungfrau, wildes Tier, Mutter und das aufblitzende Gesicht des Todes. Im ewigen Kommen und Gehen kehrt sie in ihrer Jungfräulichkeit wieder…«
Niniane senkte den Kopf und sagte: »Nein, Gwydion. Es kann nicht sein.«
»Ich bin ihr Gefährte«, entgegnete er ungerührt, »und ich werde gewinnen… Es ist nicht die Stunde für eine Jungfrau… auch die Christenpriester geben zuviel auf diesen Unsinn. Ich bete Sie an als die Mutter, die mir mein Leben schenkt und mir das gibt, was mir zusteht…«
Niniane hatte das Gefühl, sich gegen eine unbarmherzige Flutwelle zu stemmen, die sie jäh davontrug. Und zögernd erklärte sie: »Es ist immer so gewesen. Die Mutter schickt ihn davon, damit er mit den Hirschen rennt, aber er kehrt zu der Jungfrau zurück…«
Aber seine Entgegnung klang
Weitere Kostenlose Bücher