Die Nebel von Avalon
seiner Stelle: »Königin Gwenhwyfar ist so fromm, und an Artus' Hof hat sich noch keine Frau über irgend etwas beklagen müssen… Vielleicht fällt es Gwenhwyfar schwer zu verstehen, daß eine Frau Grund haben mag, mehr vom Leben zu verlangen, als die Ehe ihr bietet. Ich habe Glück, daß Lionors mich aus freiem Willen nahm. Sie ist andauernd schwanger, bringt ein Kind nach dem anderen zur Welt, und selbst wenn sie wollte, hätte sie kaum Zeit, einem anderen Mann Augen zu machen.« Lächelnd fügte er hinzu: »Ich hoffe, sie hat kein Verlangen danach, denn ich glaube, ich könnte ihr nichts abschlagen.«
Lancelot blickte nicht mehr so finster drein und sagte: »Ich kann mir nicht vorstellen, Gareth, daß eine Frau, die dich geheiratet hat, sich nach einem anderen Mann umsieht.«
»Aber du mußt dich jetzt umsehen, Vetter«, sagte Gawain, »die Königin hält nach dir Ausschau, und als ihr Ritter mußt da sie begrüßen.«
Und tatsächlich trat in diesem Augenblick eine von Gwenhwyfars jungen Hofdamen zu ihnen und fragte mit kindlicher Stimme: »Seid Ihr der edle Ritter Lancelot? Die Königin bittet Euch, zu ihr zu kommen und Euch mit ihr zu unterhalten.«
Lancelot verbeugte sich vor Morgaine und sagte: »Wir sehen uns später, Gawain, Gareth«, und ging davon. Gareth sah ihm stirnrunzelnd nach und murmelte: »Selbst heute noch läßt er auf einen Wink von ihr alles stehen und liegen.«
»Hast du etwas anderes erwartet, Bruder?« fragte Gawain unbekümmert. »Er war seit Artus' Hochzeit ihr Ritter, und wenn noch etwas anderes wäre… nun ja, Morgaine hat es gesagt. Bei einem König gilt es als männlich. Weshalb sollten wir es einer Königin verübeln? Nein, so ist das eben heute… oder hast du die Geschichten über die irische Königin nicht gehört, die mit dem alten Herzog Marcus verheiratet ist? Drustan macht Lieder auf sie und weicht nicht von ihrer Seite… Wie man sagt, spielt er die Harfe ebenso gut wie Kevin! Habt Ihr ihn schon einmal gehört, Morgaine?«
Sie schüttelte den Kopf und erwidert: »Ihr solltet Isotta nicht Königin von Cornwall nennen. Es gibt nur eine Königin von Cornwall, und das bin ich. Marcus herrscht dort als mein Regent, und wenn er das vergessen hat, ist es höchste Zeit, daß er sich daran erinnert.«
»Ich glaube, Isotta ist es gleichgültig, wie Marcus sich bezeichnet«, sagte Gawain und blickte hinüber zur langen Tafel, an der die Damen saßen. Morgause hatte sich zu Gwenhwyfar und der irischen Königin gesellt, und Lancelot redete mit ihnen. Gwenhwyfar lächelte Lancelot an, und Morgause machte einen Scherz, über den alle lachen mußten. Nur Isotta von Cornwall starrte mit schönem blassem Gesicht unglücklich ins Leere. »Ich habe noch nie eine so unglückliche Frau wie diese irische Königin gesehen.«
Morgaine sagte: »Wenn ich mit dem alten Herzog Marcus verheiratet wäre, könnte ich vermutlich auch nicht glücklich sein«, und Gawain umarmte sie dafür ungestüm.
»Es war nicht recht von Artus, Euch mit diesem alten Uriens zu vermählen… seid Ihr auch unglücklich?«
Morgaine spürte, wie ihr die Kehle eng wurde, als müsse sie weinen. »Vielleicht dürfen verheiratete Frauen nicht erwarten, sehr glücklich zu sein…«
»Dies will ich nicht sagen«, widersprach Gareth. »Lionors scheint glücklich zu sein.«
»Ja, aber Lionors ist mit dir verheiratet«, erwiderte Morgaine lachend, »und dieses Glück habe ich nicht. Ich bin nur deine alte Tante.«
»Trotzdem«, erklärte Gawain, »ich tadle meine Mutter nicht. Solange mein Vater lebte, war sie gut zu ihm, und sie hat ihm ihre Liebhaber nie vor die Nase gesetzt. Ich verüble ihr nichts. Lamorak ist ein guter Mann und ein guter Ritter. Und Gwenhwyfar…« Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Es ist jammerschade, daß Lancelot sie nicht entführte, solange Artus noch Gelegenheit hatte, sich eine andere Frau zu suchen… immerhin, ich glaube, der junge Galahad wird eines Tages ein guter König sein. Lancelot entstammt dem alten Königsgeschlecht von Avalon und ist auch väterlicherseits von königlichem Geblüt.«
»Trotzdem«, entgegnete Gareth, »steht Euer Sohn dem Thron näher«, und Morgaine fiel wieder ein, daß er damals schon alt genug war, um sich an Gwydions Geburt zu erinnern. »Ihr seid Artus' Schwester, und ihm würden die Stämme folgen. In alter Zeit war der Sohn der Schwester eines Königs der natürliche Erbe, denn einst verlief die Erbfolge in der weiblichen Linie.« Der junge
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