Die Nebel von Avalon
Ich frage mich, ob der alte König es weiß… oder ob er nichts dagegen hat?
Lamorak näherte sich ihnen. Morgause fühlte sich geschmeichelt und war gerührt. Es gab so viele schöne Frauen hier. Jede hätte ihm ihre Farben anvertraut. Doch er, ihr lieber Junge kam vor den Augen von ganz Camelot zu ihr…
Er verneigte sich. »Meine Herrin, darf ich Euer Zeichen in den Kampf tragen?«
»Mit Freuden, mein Lieber.« Morgause zog eine Rose aus dem Sträußchen, das sie am Ausschnitt trug. Er küßte die Blüte. Sie gab ihm die Hand und genoß, daß ihr junger Ritter zu den schönsten Männern des Turniers gehörte.
»Lamorak scheint ganz in deinem Bann zu stehen«, sagte Morgaine. Obwohl Morgause ihm vor dem ganzen Hof ihr Zeichen gegeben hatte, spürte sie, wie die kühle Stimme ihr die Röte in die Wangen trieb.
»Glaubst du, ich brauche Zauber- oder Bannsprüche, meine Liebe?« Morgaine lachte: »Ich hätte ein anderes Wort wählen sollen. Die meisten jungen Männer scheinen nur ein hübsches Gesicht zu suchen und wenig mehr.«
»Nun, Morgaine, Accolon ist jünger als du. Du hast ihn so gefangengenommen, daß er für jüngere Frauen oder schönere keinen Blick mehr hat. Ich mache dir keinen Vorwurf, meine Liebe. Man hat dich gegen deinen Willen verheiratet, Uriens könnte dein Großvater sein…«
Morgaine erwiderte achselzuckend: »Manchmal denke ich, Uriens weiß es… vielleicht ist er froh, daß ich einen Liebhaber gefunden habe, der mich nicht zu überreden versucht, ihn zu verlassen.«
Leicht zögernd – seit Gwydions Geburt hatte sie Morgaine nie mehr eine persönliche Frage gestellt-sagte Morgause: »Du und Uriens, ihr vertragt euch also nicht?«
Morgaine antwortete wieder mit diesem gleichgültigen Achselzucken: »Ich glaube, Uriens liegt zu viel an mir, um sich mit mir nicht zu vertragen.«
»Wie gefällt dir Gwydion?« fragte Morgause.
»Er macht mir Angst«, erwiderte Morgaine. »Aber es ist schwer, seinem liebenswürdigen Wesen zu widerstehen.«
»Was erwartest du denn? Er hat Lancelots Schönheit und deine Willenskraft… außerdem ist er ehrgeizig.«
»Wie seltsam, daß du meinen Sohn besser kennst als ich«, entgegnete Morgaine. In ihren Worten lag eine solche Bitterkeit, daß Morgause, die ihr im ersten Augenblick eine scharfe Antwort geben wollte – Morgaine hätte ihren Sohn im Stich gelassen, also dürfe sie solches nicht überraschen –, die Hand der jüngeren Frau tätschelte und nicht unfreundlich sagte: »Ach, weißt du, wenn ein Sohn erst einmal deinen Armen entwachsen ist, kennt vermutlich jeder ihn besser als seine eigene Mutter. Ich bin sicher, Artus und seine Gefährten, selbst dein Uwain kennen Gawain besser als ich. Dabei ist er noch nicht einmal schwer zu verstehen… er ist ein sehr einfacher Mensch. Auch wenn Gwydion bei dir aufgewachsen wäre, würdest du ihn nicht verstehen… ich gestehe, ich auch nicht!«
Morgaine lächelte nur unbehaglich. Dann wendete sie ihre Aufmerksamkeit dem Turnierplatz zu. Artus' Hofnarren und Spaßmacher unterhielten die Gäste mit drolligen Scheinkämpfen. Sie trugen Schweineblasen als Waffen und grell bemalte Tücher anstelle von Schilden. Es dauerte nicht lange, und die Zuschauer bogen sich vor Lachen. Schließlich verbeugten sie sich. Gwenhwyfar warf ihnen huldvoll und bewußt übertrieben Süßigkeiten und Kuchen zu. Sie rauften sich unter allgemeinem Gelächter und Beifall darum und verschwanden dann in die Küche, wo ein gutes Essen sie erwartete.
Ein Herold verkündete, der erste Kampf sei ein Schaukampf zwischen dem Ritter der Königin, dem edlen Lancelot vom See, und dem Ritter des Königs, dem edlen Gawain von Lothian und den Inseln. Die beiden Ritter wurden mit stürmischem Beifall begrüßt – Lancelot, schlank, dunkel, sah trotz der Falten im Gesicht und dem Grau in den Haaren noch so gut aus, daß Morgaine der Atem stockte.
Ja,
dachte Morgause, die das Gesicht ihrer Nichte beobachtete,
sie liebt ihn immer noch, trotz all der Jahre. Vielleicht weiß sie es selbst nicht, dennoch ist es so.
Der Kampf ähnelte einem aufwendigen, einstudierten Tanz. Die beiden umkreisten sich unter lautem Schwertergeklirr und ließen die Schilde erdröhnen. In Morgauses Augen waren sie vollkommen gleichwertig. Schließlich senkten beide die Schwerter, verbeugten sich vor dem König, umarmten sich und wurden begeistert von der Menge bejubelt.
Dann begannen die Reiterspiele: Es waren Vorführungen reiterischen Könnens; ein Mann ritt ein
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