Die Nebel von Avalon
sprachen«, unterbrach ich ihn, »habt Ihr gesagt, die Zeit Avalons sei vorüber. Weshalb sollte dann nicht ein Kind auf Vivianes Thron sitzen, das nicht sonderlich für dieses hohe Amt geeignet ist und nur auf den Tag wartet, an dem Avalon für immer in den Nebeln verschwindet?« Ich spürte eine brennende Bitterkeit in meinem Herzen. »Ihr habt Avalon verraten und seid zu Artus übergelaufen. Sicher erleichtert es doch Eure Aufgabe, wenn in Avalon nur eine alte Prophetin und eine kraftlose Priesterin herrschen…«
»Niniane liebt Gwydion, sie ist sein Geschöpf«, entgegnete Kevin. »Und ich weiß, daß Eure Stimme und Eure Hände dort gebraucht werden. Und wenn Avalon in den Nebeln entschwinden muß, wollt Ihr Euch weigern, mit ihm zu entschwinden? Ich habe Euch nie für feige gehalten, Morgaine.« Dann hob er den Kopf, sah mir in die Augen und sagte: »Hier werdet Ihr sterben, Morgaine… vor Trauer und Einsamkeit…«
Ich wandte mich ab und erwiderte: »Deshalb bin ich hierhergekommen.« Und zum ersten Mal wußte ich, daß ich tatsächlich hierhergekommen war, um zu sterben. »Alles, was ich versucht habe, ist mir mißglückt. Ich habe versagt, versagt… Ihr solltet triumphieren, Merlin, daß Artus gewonnen hat.«
Er schüttelte den Kopf. »O nein, meine Liebe, kein Triumph! Ich tue nur, was die Götter mir aufgetragen haben, nicht mehr… und Ihr tut das gleiche. Wenn es tatsächlich Euer Schicksal ist, das Ende der Welt zu erleben, die wir
kennen, dann, geliebte Morgaine, soll das Schicksal uns an dem Platz finden, der uns bestimmt wurde. Dort dienen wir, wie unser Gott es uns aufgetragen hat… es ist mir auferlegt, Euch nach Avalon zurückzurufen, Morgaine. Ich weiß nicht, weshalb. Meine Aufgabe wäre einfacher, wenn nur Niniane dort herrschen würde. Aber, Morgaine, Euer Platz ist in Avalon. Mein Platz ist dort, wohin die Götter mich führen. In Avalon werdet Ihr geheilt werden.«
»Geheilt«, wiederholte ich verächtlich. Es war mir gleichgültig. Kevin sah mich traurig an. Er hatte mich »liebste Morgaine« genannt. Plötzlich schien er der einzige Mensch zu sein, der mich wirklich kannte. Jedem, selbst Artus war ich mit einem anderen Gesicht gegenübergetreten. Ich hatte immer versucht, anders, und besser zu erscheinen, als ich war… selbst Viviane gegenüber, damit sie in mir eine würdige Priesterin sah… für Kevin war ich Morgaine und nichts anderes. Mir wurde bewußt, daß er selbst dann nur mein Gesicht sehen würde, wenn ich als Todesbotin die Hand nach ihm ausstreckte… ich hatte immer geglaubt, Liebe sei etwas anderes, sei dieses Brennen, das ich für Lancelot und Accolon empfunden hatte. Kevin hatte ich wenig mehr als stilles Mitgefühl, Freundschaft und Freundlichkeit entgegengebracht. Was ich ihm schenkte, bedeutete mir wenig. Und doch… und doch hatte nur er daran gedacht, mich aufzusuchen, sorgte nur er sich darum, daß ich hier nicht vor Leid und Kummer dahindämmerte und starb.
Aber wie konnte er wagen, meinen Frieden zu stören, nachdem ich mich beinahe bis zu dieser gänzlichen Stille jenseits des Lebens durchgekämpft hatte? Ich wandte mich ab und erwiderte: »Nein.« Ich konnte nicht mehr ins Leben zurückkehren, kämpfen und leiden… und mit dem Haß der Menschen leben, die mich einst liebten… Wenn ich nach Avalon zurückkehrte, mußte ich den tödlichen Kampf mit Artus wiederaufnehmen; aber ich liebte meinen Bruder. Ich mußte dann wieder mitansehen, wie Lancelot als Gefangener seiner Liebe zu Gwenhwyfar litt. Es war mir inzwischen alles gleichgültig. Ich konnte die Qualen in meinem Herzen nicht länger ertragen… Nein, ich war hier in der Stille und im Frieden. Ich wußte, es würde nicht lange dauern, ehe ich noch tieferen Frieden fand… die Betäubung, die dem Tod vorausgeht, umgab mich
mehr und mehr. Kevin, dieser Verräter, wollte mich zurückhalten? Ich wiederholte: »Nein«, und vergrub das Gesicht in den Händen.
»Laßt mich in Frieden, Kevin. Ich bin hierhergekommen, um zu sterben. Laßt mich allein.« Er rührte sich nicht und sprach nicht. Ich saß reglos, das Gesicht hinter dem Schleier verborgen. Sicher würde er bald aufstehen und mich alleinlassen. Ich hatte nicht die Kraft, in meine Kammer zu gehen.
Ich… ich würde hier sitzen, bis die Frauen mich in mein Bett zurücktrugen, und ich würde mich nie mehr erheben… Dann durchbrachen die zarten Töne der Harfe die Stille. Kevin spielte, und bald darauf sang er.
Ich kannte einen Teil dieser
Weitere Kostenlose Bücher