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Die Nebel von Avalon

Titel: Die Nebel von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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selbst in den Träumen. Ich sah sein Gesicht nie mehr. Obwohl ich mich danach sehnte, erkannte ich schließlich, daß es richtig war, denn sonst hätte ich den Rest meines Lebens mit Träumen zugebracht… Es
kam der Tag, an dem ich zurückblicken konnte und wußte, daß die Zeit der Trauer vorüber war. Mein Geliebter und mein Kind waren am anderen Ufer. Selbst wenn ich sie jenseits der Pforten des Todes wiedertraf, würde keiner von uns sich erinnern… aber ich lebte; ich war in Avalon, und es war meine Aufgabe, dort Herrin zu sein. Ich weiß nicht, wie viele Jahre ich vor dem Ende in Avalon zubrachte. Ich
erinnere mich nur noch, daß ich in einem unendlichen, namenlosen Frieden lebte – jenseits von Freude und Leid. Ich kannte nur die heitere Gelassenheit der kleinen Aufgaben des Alltags. Niniane stand an meiner Seite, und ich lernte Nimue kennen, die zu einer großen, schweigsamen blonden Jungfrau herangereift war, die der jungen Elaine ähnelte. Sie wurde für mich zur Tochter, die ich nie hatte. Sie besuchte mich Tag für Tag, und ich lehrte sie alles, was ich in meiner frühen Jugend von Viviane gelernt hatte.
    In jenen letzten Tagen kamen auch Menschen, die den Heiligen Dornbusch in seiner ersten Blüte gesehen hatten – Anhänger Christi, die ihren christlichen Gott in Frieden verehrten, ohne zu versuchen, die Schönheit von der Welt zu bannen. Sie liebten die Welt, die Gott geschaffen hatte. In Scharen kamen sie in jenen Tagen nach Avalon, um dem unerbittlichen Sturm der Verfolgung und Scheinheiligkeit der Kirchenmänner zu entgehen. Patricius hatte neue Formen der Anbetung eingeführt – er verkündete ein Weltbild, das keinen Raum mehr für die wahre Schönheit und das Mysterium der Natur ließ. Von den Christen, die vor dem blinden Eifer ihrer Glaubensbrüder zu uns flohen, erfuhr ich endlich etwas über den Nazarener, den Sohn des Zimmermanns, der in seinem Leben Göttlichkeit erreicht und die Liebe zum Nächsten gepredigt hatte. So begriff ich, daß ich nie mit Christus im Streit gelegen hatte, sondern mit seinen dummen, engstirnigen Priestern, die fälschlicherweise ihre Beschränktheit für seine hielten.
    Ich weiß nicht, ob drei, fünf oder sogar zehn Jahre bis zum Ende vergingen. Gerüchte vom Geschehen der Welt draußen drangen wie Schatten zu mir, wie das Echo der Kirchenglocken, die wir manchmal auch an unserem Ufer hörten. Ich erfuhr, daß Uriens gestorben war, aber ich trauerte nicht um ihn. Für mich war er schon viele Jahre tot gewesen. Ich hoffte, daß er am Ende sein Leid überwunden hatte. Er war auf seine Weise gut zu mir gewesen, und er sollte in Frieden ruhen.
    Hin und wieder drangen Nachrichten von Artus
'
Taten oder den Taten seiner Ritter zu mir. Aber in der heiteren Ruhe von Avalon schienen sie gegenstandslos zu sein und erinnerten eher an alte Geschichten und Legenden. So wußte ich nie, ob sie von Artus, Cai und Lancelot erzählten oder von Llyr und den Kindern von Da
'
ana. Wenn man Geschichten über die Liebe von Lancelot und Gwenhwyfar oder später von Isotta, der Gemahlin des Marcus, und dem jungen Drustan berichtete, konnten es ebensogut die alten Legenden von Diarmid und Grainne sein… sie bedeuteten nichts, und ich schien sie alle schon vor langer Zeit in meiner Kindheit gehört zu haben. Und dann, eines Tages im Frühjahr, als das Land sich in aller Schönheit vor uns ausbreitete und die ersten Apfelbäume von Avalon mit weißen Blüten übersät waren, durchbrach Raven ihr Schweigen mit einem Schrei, und ich wendete gezwungenermaßen meine Gedanken wieder der Welt zu, die ich glaubte, für immer hinter mir gelassen zu haben.

8
    Das Schwert der Mysterien ist verloren… blickt auf den Kelch, blickt auf die Heiligen Insignien… der Kelch ist verschwunden. Er ist verschwunden. Er wurde uns geraubt…« Morgaine hörte den Schrei im Schlaf. Aber als sie auf Zehenspitzen zur Tür des Gemachs ging, in dem Raven allein schlief, fand sie die Priesterinnen, die ihr dienten, schlafend. Sie hatten den Schrei nicht gehört.
    »Aber hier herrscht nur Schweigen, Herrin«, sagten sie ihr. »Seid Ihr sicher, daß es kein böser Traum war?«
    »Wenn es ein böser Traum war, dann hat ihn Raven ebenfalls geträumt«, erklärte Morgaine und blickte ungläubig in die Gesichter der ahnungslosen jungen Mädchen. Mit jedem Jahr schienen die Priesterinnen im Haus der Jungfrauen jünger und kindlicher zu werden… wie konnte man solchen kleinen Mädchen die heiligen Dinge anvertrauen?

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