Die Nebel von Avalon
schon, solange die Welt besteht… als könne er mir nie fremd sein, gleichgültig, was er tut und was zwischen uns geschieht.«
»Aber wenn er dich noch nicht einmal geküßt hat…«
»Das bedeutet nichts«, entgegnete Igraine traurig und sagte dann endlich weinend, was sie schon lange wußte und sich nur ungern eingestand: »Selbst wenn ich ihn nie mehr sehen sollte, bin ich an ihn gebunden und werde an ihn gebunden sein, solange ich lebe. Ich kann nicht glauben, daß die Göttin mein Leben bis in die Grundfesten erschüttert hat, wenn ich ihn nie wieder sehen soll.« Igraine konnte im schwachen Licht erkennen, wie Morgause sie voll Ehrfurcht und mit einem gewissen Maß von Neid ansah, als sei sie in den Augen ihrer jüngeren Schwester plötzlich zur Heldin einer alten Liebeslegende geworden. Es drängte sie zu sagen, nein, so ist es nicht. Es ist überhaupt nichts Besonderes. Es ist einfach das, was geschehen ist. Aber sie wußte, es gab keine Möglichkeit, es zu erklären, denn Morgause fehlte die Erfahrung, um Verliebtsein von dieser Art endgültiger Wirklichkeit zu unterscheiden, die hart wie ein Stein auf dem Grund aller Einbildung lag.
Soll sie es eben für eine Liebesgeschichte halten, wenn es ihr gefällt,
dachte Igraine und erkannte, daß Morgause diese Wirklichkeit nie verstehen würde, denn sie lebte in einer anderen Welt.
Igraine hatte den ersten Schritt getan und sich den Priester zum Feind gemacht, dem Gorlois vertraute. Jetzt tat sie den zweiten und gestand Morgause ihre Liebe zu Uther. Viviane hatte etwas über Welten erzählt, die sich voneinander entfernten; Igraine erschien es, als lebe sie inzwischen in einer anderen Welt, die mit der gewöhnlichen Welt nichts mehr zu tun hatte, in der Gorlois vielleicht zu Recht erwartete, daß sie seine treue Leibeigene, Dienerin, Sklavin – seine Ehefrau war. Und nur Morgaine band sie noch an diese Welt. Igraine betrachtete das schlafende Kind mit den klebrigen Händen, dessen dunkle Haare wirr den Kopf umgaben, und ihre jüngere Schwester mit den weitgeöffneten Augen. Sie fragte sich, ob sie diese letzten Pfänder, die sie noch an die Wirklichkeit banden, zugunsten dessen, was ihr widerfahren war, aufgeben würde. Der Gedanke verursachte ihr große Pein. Aber tief im Innern flüsterte sie: »Ja. Sogar das!«
Und so fiel ihr der nächste Schritt leicht, vor dem Igraine sich so gefürchtet hatte.
In dieser Nacht lag sie wach zwischen Morgause und ihrem Kind und versuchte zu entscheiden, was sie zu tun hatte. Sollte sie davonlaufen und darauf vertrauen, daß Uther hellsichtig genug war, sie zu finden? Sie verwarf diesen Gedanken. Sollte sie Morgause insgeheim beauftragen, nach Avalon zu fliehen und die Nachricht überbringen, daß sie gefangengehalten wurde? Nein. Wenn man schon auf dem Markt darüber redete, daß sie gefangensaß, wäre Viviane bestimmt gekommen, wenn sie geglaubt hätte, es würde der Schwester helfen.
Immer wieder nagte an ihrem Herzen die stumme Stimme des Zweifels und der Verzweiflung. Ihr inneres Gesicht hatte sie getäuscht … oder sie hatten den Plan aufgegeben, nachdem sie nicht alles für Uther beiseite schob. Vielleicht hatten Viviane und der Merlin eine andere Frau für Uther gefunden, um das Land zu retten. Man wählte auch eine andere Priesterin, wenn die Hohepriesterin die Große Feier nicht leiten konnte.
Gegen Morgen, der Himmel verfärbte sich bereits, fiel Igraine in einen lähmenden Schlaf. Aber dann bekam sie die Unterweisung, auf die sie schon nicht mehr gehofft hatte. Im Augenblick des Erwachens sagte eine Stimme in ihr:
Befreie dich diesen einen Tag lang von dem Kind und dem Mädchen, und du wirst wissen, was du tun sollst!
Der neue Tag brach klar und strahlend an. Als sie zusammensaßen und Ziegenkäse und frischgebackenes Brot aßen, blickte Morgause auf das schimmernde Meer hinaus und sagte: »Ich habe es so satt, immer
im Haus zu sein… Bis gestern auf dem Markt wußte ich nicht, wie sehr ich mich hier langweile.«
»Dann geh mit Morgaine zu den Schäferinnen«, schlug Igraine vor. »Ich glaube, sie wäre auch gerne im Freien.«
Igraine packte Fleisch und Brot für sie ein. Für Morgaine war es wie ein Fest. Igraine sah ihnen nach und hoffte, eine Möglichkeit zu finden, den wachsamen Augen von Vater Columba zu entgehen. Obwohl er sich ihrem Willen beugte und nicht mehr mit ihr gesprochen hatte, folgten ihr seine Augen überall hin. Doch gegen Mittag kam er zu ihr, während sie am Webstuhl saß, und
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