Die nervöse Großmacht 1871 - 1918: Aufstieg und Untergang des deutschen Kaiserreichs (German Edition)
Zwangsarbeitspolitik im Zweiten Weltkrieg darstellte.
In allen kriegführenden Staaten gab es im Ersten Weltkrieg Soldaten, die, des Mordens überdrüssig, ihre Waffen beiseitelegten und zum »Feind« überliefen. Christoph Jahr hat in einer vergleichenden Studie das Phänomen für England und Deutschland erforscht: »Gewöhnliche Soldaten. Desertion und Deserteure im deutschen und britischen Heer 1914–1918« (Göttingen 1998). Dabei gelangt er zu einem überraschenden Befund: Die englische Militärjustiz bestrafte Deserteure wesentlich härter als die deutsche. Zwischen 1914 und 1918 wurden 269 britische Soldaten wegen Desertion hingerichtet, dagegen nur 18 in der mehr als doppelt so großen deutschen Armee. Dieses Ergebnis steht in einem auffälligen Kontrast zum Zweiten Weltkrieg, als die deutsche Wehrmachtjustiz sogenannte Fahnenflüchtige gnadenlos verfolgte und mindestens 10000 von ihnen hinrichten ließ, während in der britischen Armee kein einziges Todesurteil ausgesprochen wurde.
Mit seinem Buch »Die Augenzeugen. Deutsche Feldpostbriefe 1914–1933« (Essen 1997) hat Bernd Ulrich seinen verstreuten Aufsätzen zur Erfahrungs- und Kulturgeschichte des Ersten Weltkriegs einen zusammenfassenden Rahmen gegeben. Die Originalität seiner Untersuchung liegt darin, dass er Feldpostbriefe nicht nur als Zeugnisse nimmt, mit deren Hilfe er die Erfahrungen der Soldaten an der Front rekonstruiert, sondern sie zugleich auf ihre Bedeutung für die Kriegsöffentlichkeit und die Gedenkkultur nach 1918 befragt. Dabei öffnet er unter anderem neue Einsichten in die Funktionsweise der Briefzensur im Ersten Weltkrieg. An die Forschungen Bernd Ulrichs schließt die Arbeit von Anne Lipp an: »Meinungslenkung im Krieg. Kriegserfahrungen deutscher Soldaten und ihre Deutung 1914–1918« (Göttingen 2003). Als Quelle dienen ihr vor allem die deutschen Feldzeitungen, die dafür eingesetzt wurden, die Meinungen der Soldaten zu beeinflussen und zu lenken. Diese Aufgabe wurde im Laufe des Krieges immer dringlicher, da der Militärführung die zunehmende Kriegsmüdigkeit und Friedenssehnsucht natürlich nicht verborgen bleiben konnten. Gezeigt wird, wie die Instanzen der Meinungslenkung die Erfahrungen der Soldaten aufgriffen und sie zugleich in ihrem Sinne umzudeuten suchten. Damit prägten sie Begriffe und Vorstellungen, wie etwa jene von der »Dolchstoßlegende«, die über den Krieg hinaus wirksam bleiben sollten.
Das fast geräuschlose Verschwinden der Monarchien im Herbst 1918 zählt zu den merkwürdigsten Vorgängen der jüngeren deutschen Geschichte. Dennoch hat sich die Geschichtsschreibung erstaunlich wenig dafür interessiert. Dieses Versäumnis macht der Bremer Historiker Lothar Machtan wett: »Die Abdankung. Wie Deutschlands gekrönte Häupter aus der Geschichte fielen« (Berlin 2008). Er zeigt: Nicht nur Wilhelm II., sondern auch die meisten anderen Fürsten versagten vor den Anforderungen, die der totale Krieg stellte. Sie berauschten sich an uferlosen Kriegszielen auch dann noch, als das Scheitern des deutschen strategischen Plans längst zutage lag. Soweit sie sich überhaupt an die Front begaben, lernten sie, wie Machtan schreibt, »den bewaffneten Kampf vorzugsweise durch das Scherenfernrohr kennen«, als Schlachtenbummler also, die von den entsetzlichen Leiden der Soldaten in den Schützengräben nichts wussten und auch nichts wissen wollten. Dennoch hätten die Monarchen nach Überzeugung des Autors die sich spätestens seit 1917 abzeichnende Systemkrise überstehen können, wenn sie rechtzeitig den Ruf nach demokratischen Reformen aufgegriffen hätten. Stattdessen verteidigten sie zäh ihre Privilegien und beschleunigten so ihre Selbstdemontage. Erst als die Oberste Heeresleitung Ende September 1918 die militärische Niederlage eingestehen musste, waren der Kaiser und die anderen Bundesfürsten bereit, dem inneren Reformdruck nachzugeben und den bislang blockierten Übergang zur parlamentarischen Monarchie freizumachen. Doch dieser Schwenk kam zu spät, um die zur Revolution treibende Entwicklung noch aufhalten zu können. Mit der Abdankung der Monarchen war die Geschichte der Monarchie in Deutschland freilich noch nicht beendet. Mit ihren Hinterlassenschaften befasst sich der von Thomas Biskup und Martin Kohlrausch herausgegebene Sammelband: »Das Erbe der Monarchie. Nachwirkungen einer deutschen Institution seit 1918« (Frankfurt a.M. 2008).
Nach dem Ende des Krieges war der Krieg der Bilder, wie ihn die
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