Die nervöse Großmacht 1871 - 1918: Aufstieg und Untergang des deutschen Kaiserreichs (German Edition)
verwahrt werden, schon lange als Geheimtipp. Denn dieser hohe Marineoffizier war die rechte Hand von Großadmiral Alfred von Tirpitz, Staatssekretär des Reichsmarineamts seit 1897 und Schöpfer der deutschen Schlachtflotte, in der sich die Weltmachtambitionen des Kaiserreichs am sinnfälligsten offenbarten. Michael Epkenhans hat die Tagebücher in einer vorzüglich kommentierten Auswahl herausgegeben, ergänzt um Denkschriften und Briefe aus dem privaten Nachlass: »Albert Hopmann: Das ereignisreiche Leben eines ›Wilhelminers‹. Tagebücher, Briefe, Aufzeichnungen 1901 bis 1920« (München 2004). Es handelt sich um eine interessante, streckenweise sogar aufregende Lektüre, denn aufgrund seiner Nähe zu wichtigen Entscheidungsträgern in der Reichsleitung war Hopman über die Interna der deutschen Politik in der Regel außerordentlich gut informiert. Eine besonders ergiebige Quelle sind die Tagebücher für die ersten Monate des Krieges, die Hopmann im Großen Hauptquartier zunächst in Koblenz, später in Luxemburg und danach in Charleville verbrachte. Sie spiegeln in seltener Deutlichkeit den radikalen Umschlag der Stimmung nach dem Scheitern des deutschen Angriffs an der Marne Anfang September 1914 wider. Von nun an plagten Hopman düstere Gedanken im Blick auf die Zukunft: »Ein dunkles Gefühl sagt mir, daß nun die Sühne kommt, auch für das Volk, das sich solchem aufs Äußere und den Schein gerichteten Regiment willig gefügt hat.« Bereits zu dieser Zeit findet sich im Tagebuch die Einsicht, zu der sich die Oberste Heeresleitung erst vier Jahre später, im Angesicht der militärischen Niederlage Ende September 1918, durchringen sollte: dass »weitgehendste Zugeständnisse an (die) demokratische Richtung« notwendig seien, um mit dem System des »Persönlichen Regiments« zu brechen und fähige Politiker an die Spitze der Reichsleitung zu bringen.
Innenansichten aus der Umgebung des Kaisers im Ersten Weltkrieg präsentiert auch der von Holger Afflerbach bearbeitete Band: »Kaiser Wilhelm II. als Oberster Kriegsherr im Ersten Weltkrieg. Quellen aus der militärischen Umgebung des Kaisers 1914–1918« (München 2005). Die Edition enthält das Tagebuch und die Kriegsbriefe des kaiserlichen Generaladjudanten Hans Georg von Plessen sowie die Tagebuchfragmente und Korrespondenzen des Chefs des Kaiserlichen Militärkabinetts, Moritz Freiherr von Lyncker. Deutlich wird, in welch erschütterndem Ausmaß der letzte Hohenzollernkaiser angesichts der Herausforderungen des Krieges versagte und wie weit man sich im Hauptquartier im Laufe des Krieges von den Realitäten an den Fronten entfernte.
Die andere Seite des Krieges, die sogenannte Heimatfront, spiegelt sich in den Aufzeichnungen des Heidelberger Mittelalterhistorikers Karl Hampe, die Folker Reichert und Eike Wolgast herausgegeben haben: »Das Kriegstagebuch 1914–1918« (München 2004) – ohne Frage eines der interessantesten Zeugnisse zur Kultur- und Mentalitätsgeschichte des Ersten Weltkriegs. Denn es gibt, wie bislang kaum ein zweites, Einblicke in den Alltag eines angesehenen Universitätsprofessors und seiner vielköpfigen Familie. Zugleich beleuchtet es auf exemplarische Weise politische Einstellungen und Verhaltensweisen, wie sie für das nationalliberale Bildungsbürgertum im ausgehenden Kaiserreich charakteristisch waren.
Die bislang umfassendste Darstellung einer deutschen Stadt im Ersten Weltkrieg hat der amerikanische Historiker Roger Chickering vorgelegt: »The Great War and Urban Life in Germany: Freiburg, 1914–1918« (Cambridge 2007), auf Deutsch erschienen unter dem Titel: »Freiburg im Ersten Weltkrieg. Totaler Krieg und städtischer Alltag 1914–1918« (Paderborn 2009). Sie beginnt mit dem 24. Juli 1914, als das österreichische Ultimatum an Serbien bekannt wurde, und endet mit dem 11. November 1918, dem Tag der Unterzeichnung des Waffenstillstands. Alle Aspekte des städtischen Alltags werden einbezogen: die demographischen Veränderungen, die Schwierigkeiten der Lebensmittelversorgung, die Entstehung eines Schwarzmarktes, die Auswirkungen des Mangels auf die Sinne, die Auflösung traditioneller Geschlechterrollen, die Erfahrung der sich verschärfenden sozialen Ungleichheit, schließlich die allgemeine Erschöpfung im Sommer und Herbst 1918. Eine Mikrogeschichte, die eindrucksvoll belegt, dass der erste totale Krieg keinen Bereich des Lebens unberührt ließ.
Auf makrogeschichtlicher Ebene diskutiert Alan Kramer den Prozess
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