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Die Netzhaut

Die Netzhaut

Titel: Die Netzhaut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torkil Damhaug
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erstaunlich gleichmütig. »Er hat einen Hof in Sørum geerbt, auf dem wir leben. Er bewirtschaftet ihn zwar nicht, doch irgendwie ist er völlig mit ihm verwachsen. Den kriegt man da nicht weg. Aber jetzt müssen Sie mir erzählen, was Sie gefunden haben.«
    Liss kramte in ihrer Handtasche.
    »Es hat bestimmt nichts zu sagen …«
    Sie erzählte von ihrem Ausflug zur Hütte, faltete den Ausdruck auseinander, den sie im Sofakissen entdeckt hatte, und legte ihn auf den Tisch. Jennifer nahm ihn. Ihr Gesicht veränderte sich, die Pupillen wurden größer, und erneut stieg ihr die Röte ins Gesicht. Als sie zu Ende gelesen hatte, stand sie auf, ging zum Schreibtisch, öffnete eine Schublade und schloss sie wieder, ohne etwas herauszunehmen.
    »Es hat also doch was zu sagen«, stellte Liss fest.
    Jennifer zwinkerte ein paarmal und schien langsam wieder zu sich zu kommen.
    »Nicht unbedingt«, entgegnete sie. »Aber der Ausdruck ist vom 10. Dezember. Das heißt, dass Mailin ihn auf die Hütte mitgenommen hat. Das ist an sich schon eine wichtige Erkenntnis.«
    Sie setzte sich wieder hin. »Was ist mit den Spuren im Schnee, die Sie an Silvester gesehen haben? Könnten die möglicherweise schon vorher da gewesen sein?«
    Ausgeschlossen, meinte Liss. Sie habe nicht die geringsten Spuren gesehen, als sie gekommen sei. Außerdem habe es am Abend geschneit.
    »Da ist noch etwas anderes«, fuhr sie fort.
    Jennifer beugte sich vor und ließ Liss keine Sekunde aus den Augen, während diese von dem Patienten aus Mailins Praxis erzählte. Sie berichtete auch, was er im Park gesagt hatte.
    »Ich rate Ihnen dringend, sich damit an die Polizei zu wenden, Liss.«
    »Sie könnten es ihnen doch auch mitteilen.«
    »Ich bin nicht an den Ermittlungen beteiligt.«
    Liss kniff sich in die Unterlippe.
    »Ich werde nicht mehr aufs Präsidium gehen. Ich werde weder mit dem Idioten mit diesem ausländischen Namen noch mit dem schleimigen Kommissar reden. Ich habe der Polizei noch nie getraut. Hatte auch noch nie einen Grund dazu.«
    Jennifer protestierte nicht. Versuchte weder Liss umzustimmen noch ihr etwas zu entlocken, was sie lieber für sich behalten wollte.
    »Ich glaube nicht, dass der Typ, der in ihrem Büro war, das getan … Mailin umgebracht hat. Aber er weiß irgendwas. Wahrscheinlich hat er sie gesehen, unmittelbar bevor sie verschwunden ist. Ich werde herausfinden, wer er ist.«
    Jennifer richtete sich in ihrem Stuhl auf.
    »Das ist nicht Ihr Job«, sagte sie entschieden.
    »Die Polizei hat mehrere Wochen Zeit gehabt. Und was haben sie herausgefunden?«
    »Genau deshalb sind sie auf Ihre Hilfe angewiesen, Liss. Außerdem könnten Sie sich in Gefahr bringen, wenn Sie auf eigene Faust ermitteln.«
    Liss stand auf.
    »Ich habe keine Angst«, sagte sie. »Nie mehr.«

18
    D er Himmel war wie blaugefärbtes Glas, als Roar Horvath in Bergen-Flesland aus dem Flugzeug stieg. Das Gras zwischen den Landebahnen war mit Rauhreif bedeckt, und die Berge am Horizont trugen weiße Kappen. Vor mehreren Jahren war er im Frühling schon einmal für ein paar Tage in Bergen gewesen. Auch damals derselbe blanke, wolkenlose Himmel, dasselbe scharfe Licht. Er begann daran zu zweifeln, ob Bergen wirklich so ein berüchtigtes Regenloch war.
    In der Ankunftshalle sah er sich nach der Kollegin um, die ihn abholen sollte. Sie hieß Nina Jebsen und hatte beim Dezernat für Gewaltverbrechen in Oslo aufgehört, wenige Wochen, nachdem er dort begonnen hatte. Er hatte sie dunkelhaarig und ein wenig füllig in Erinnerung. Doch die Frau, die ihm entgegenkam und die Hand ausstreckte, war schlank, und unter ihre aschblonden, schulterlangen Haare mischten sich ein paar helle Strähnen.
    »Schön, dich wiederzusehen«, sagte sie, vermutlich weil sie seine Unsicherheit bemerkte. »Hast du kein Gepäck?«
    Jetzt endlich begriff Roar, dass Nina Jebsen vor ihm stand.
    »Ich brauche doch nicht zwei Anzüge, wenn ich nicht mal übernachten will.«
    »Kommt drauf an, wie eitel du bist.« Sie warf einen Blick auf seinen Anorak.
    »Aber du bist ja eher unauffällig gekleidet«, fuhr sie fort, als sie im Auto saßen. Ihr Bergenser Dialekt war ausgeprägter, als er ihn in Erinnerung hatte.
    »Mein Chef hat sich übrigens geweigert, irgendjemand von deinem Besuch zu erzählen. Ich habe mich schon gefragt, ob auch der Geheimdienst eingeschaltet ist.«
    Er lächelte über ihren Scherz und mochte den Ton, den sie anschlug.
    »Wie schade, dass du nicht in Oslo geblieben bist«,

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