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Die Netzhaut

Die Netzhaut

Titel: Die Netzhaut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torkil Damhaug
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Wir haben das Auto gesehen, das auf sie gewartet hat, und wir sind mit zu dem Ort gefahren, wo sie gefunden wurde.«
    Er schaute verstohlen zu seiner Frau hinüber. Sie lächelte so puppenhaft, wie sie es die ganze Zeit schon getan hatte. Hin und wieder nickte sie, während ihr Ehemann für sie beide sprach:
    »Ich übertreibe nicht, wenn ich Ihnen sage, dass wir jeden Tag damit konfrontiert sind. Wenn Sie uns also Ihre Fragen stellen, können Sie keine alten Wunden aufreißen, denn sie haben sich nie geschlossen.«
    Richard Richter schwieg erneut.
    Roar sagte: »Sie verstehen sicher, dass ich nicht grundlos aus Oslo hierhergekommen bin. Allerdings wollen wir Ihnen auch keine falschen Hoffnungen machen. Wir halten es für möglich, dass es einen Zusammenhang mit einem anderen Fall gibt, den wir gerade bearbeiten. Darum möchten wir uns, so gut es geht, mit der gründlichen Arbeit vertraut machen, die unsere Kollegen in Bergen im Fall von Ylva geleistet haben.«
    Er hatte ihren Namen nicht aussprechen wollen, doch jetzt war es geschehen. Keiner der Eltern reagierte darauf. Auch nicht auf das Lob, das er seinen Kollegen aus Bergen aussprach.
    »Wir müssen jeden Stein noch einmal umdrehen, nicht nur einmal, sondern viele Male.«
    Richard Richter räusperte sich. Roar hatte den Eindruck, als wolle er keine weiteren Phrasen hören.
    »Es geht um die Frau, die tot aufgefunden wurde, nicht wahr? In der Fabrik.«
    Roar atmete langsam aus.
    »Ich würde gerne in aller Offenheit mit Ihnen darüber reden, doch ich muss leider Rücksicht auf die Ermittlungen …«
    »Ist sie auch erfroren?«, wollte Anne Sofie Richter wissen. Ihre Stimme klang unbeschwert und verwundert, als bliebe sie bei einem Ausflug plötzlich am Wegesrand stehen und würde sich fragen, was für ein Vogel dort oben im Baum saß und so merkwürdig sang.
    Nina Jebsen, die bis jetzt schweigend auf dem Sofa gesessen und zugehört hatte, schaltete sich ein:
    »Wir sind sehr dankbar, dass es Menschen wie Sie gibt, die uns bei unserer Arbeit so sehr unterstützen. Wie ich bereits am Telefon erwähnte, ist es von größter Bedeutung, dass Sie mit niemand darüber reden, nicht einmal mit Nachbarn oder Freunden. Bisher hat noch kein Journalist herausgefunden, dass wir die Ermittlungen wiederaufgenommen haben.«
    »Wenn dieses Pack noch einmal vor unserer Tür steht, dann weiß ich nicht, was ich tue«, entgegnete Richard Richter.
    Er stand immer noch am Ende des Tisches, die Kaffeetasse in einer Hand, die andere in der Hosentasche. Roar konnte sehen, dass sie sich unter dem Stoff ballte und wieder öffnete.
    »Ich weiß, dass Sie danach schon früher gefragt wurden«, sagte er, »doch möchte ich Sie bitten, noch einmal gründlich nachzudenken. Ist irgendwann einmal etwas in Ylvas Freundes- oder Bekanntenkreis vorgefallen, das Sie stutzig gemacht hat?«
    Er hörte, dass die Frage sehr allgemein gestellt war, und präzisierte: »Dürfen wir Sie bitten, eine Liste zu erstellen, damit wir einen Überblick bekommen, mit wem sie sich in den letzten beiden Jahren getroffen und was sie alles unternommen hat?«
    Richard Richter gab ein Stöhnen von sich, doch seine Frau, deren Mund immer noch von diesem puppenhaften Lächeln umspielt wurde, erwiderte:
    »Das ist kein Problem. Ich habe ihre Schulkalender aufgehoben. Sie hat dort immer all ihre Verabredungen eingetragen. Vieles davon weiß die Polizei bereits, aber sicher nicht alles aus den letzten zwei Jahren.«
    »Schwimmunterricht, Schulausflüge, Ferienreisen und so weiter«, bestätigte Roar und nickte. »Auch alles, was sie zusammen mit Ihnen unternommen hat. Ich weiß, dass das enorm viel Arbeit ist.«
     
    Als sie im Flur standen und sich für den Kaffee bedankten, drehte Anne Sofie Richter sich um und verschwand in einem Nebenzimmer. Im nächsten Moment kam sie wieder heraus.
    »Sie haben bestimmt Fotos von Ylva gesehen«, sagte sie zu Roar. »Auch solche, die nach ihrem Tod entstanden sind.«
    Er enthielt sich einer Antwort.
    »Das hier ist aus der Zeit, als sie Abitur gemacht hat, also im Frühjahr des Jahres, in dem es passiert ist. Ich will, dass Sie sich das Foto ansehen, denn so war sie, unsere Tochter.«
    Sie gab ihm ein gerahmtes Foto. Er erkannte sie von den anderen Bildern wieder. Ihre braunen Haare quollen unter der roten Abiturientenmütze hervor. Ein ebenmäßiges Gesicht, braune Augen, volle Lippen. Ein hübsches Mädchen, hätte er fast gesagt, riss sich aber zusammen. Als er das Foto zurückgab,

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