Die Netzhaut
dir eine Kopie gemacht. Solltest du dir später angucken.«
»Geht’s um Øvreby?«
»Allerdings. Ist ein anonymer Tipp, der Kerl soll im großen Stil die Krankenkasse bescheißen.«
Roar zog den zweiten Schuh an.
»Der Schwindel läuft angeblich schon seit langer Zeit«, fügte Viken hinzu. »Der Brief endet mit folgender Aussage: ›Mailin Bjerke wusste, was in der Nachbarpraxis vor sich geht.‹«
28
Donnerstag, 8. Januar
R oar bog um Viertel nach sieben in die Tiefgarage des Polizeipräsidiums ein. Als er den Motor abstellte, klingelte sein Handy.
»Schon auf den Beinen?«, fragte Jennifer, die sich Mühe gab, überrascht zu klingen. »Und ich dachte, ich könnte dich wecken.«
»Bin schon seit mehreren Stunden auf«, behauptete er. »Habe geduscht, gefrühstückt und schon ein bisschen gearbeitet. Und das, obwohl ich bis nach Mitternacht Damenbesuch hatte. Aber was sollte ich machen? Sie wollte einfach nicht gehen.«
»Du Armer! Wahrscheinlich hat sie dich nicht mal zugedeckt, als sie gegangen ist.«
Er sah ihr Lächeln vor sich, wie ihr Gesicht sich in winzige Fältchen verzog.
»Ich habe übrigens gerade mit Viken telefoniert«, sagte sie. »Ich konnte ihm das Ergebnis einer Probe mitteilen, das dich auch interessieren dürfte.«
Wenn sie etwas Wichtiges zu erzählen hatte, klang sie immer noch wie ein stolzes kleines Mädchen.
»Hast du eigentlich nur angerufen, um mich zu ärgern, oder wolltest du mir wirklich etwas mitteilen?«
Sie lachte.
»Viken wird es dir bestimmt bald persönlich erzählen«, sagte sie. »Aber ich hatte plötzlich Lust, dich anzurufen. Zwei Fliegen mit einer Klappe. Es geht um die fremden Haare, die wir bei Mailin Bjerke gefunden haben. Wir hatten sie zu einem Speziallabor nach Österreich geschickt.«
Sie schwieg für einige Sekunden.
»Könntest du bitte zur Sache kommen, Jenny? Ich muss vor der Morgenbesprechung noch haufenweise Dokumente durchgehen.«
»Die gute Nachricht ist, dass sie DNA extrahieren konnten, obwohl keine Haarwurzeln da waren.«
»Nicht schlecht. Gibt uns das ein Profil?«
»Das ist die schlechte Nachricht. Die DNA bekommen wir nur aus den Mitochondrien.«
»Das bedeutet?«
»Wenn wir Glück haben, finden wir eine DNA -Variante, die in der Bevölkerung nur sehr selten vorkommt.«
Eine Kollegin aus seinem Team spazierte an seinem Auto vorbei und winkte ihm zu.
Jennifer sagte: »Wusstet ihr übrigens schon, dass Berger und der Vater von Mailin Bjerke alte Saufkumpane sind?«
»Das ist mir neu. Du meinst ihren Stiefvater?«
»Nein, ihren leiblichen Vater, den seit fast zwanzig Jahren niemand gesehen hat.«
»Wir versuchen schon die ganze Zeit, ihn in Kanada aufzuspüren«, erklärte Roar. »Aus mehreren Gründen. Woher weißt du das mit Berger?«
»Ragnhild Bjerke war Dienstag in meinem Büro.«
»Warum hast du denn gestern nichts davon erwähnt?«
Jennifer zögerte.
»Weil ich als Medizinerin mit ihr gesprochen habe. Ich weiß auch gar nicht genau, was ich euch erzählen soll. Da ist irgendwas mit diesem Vater, aber …«
Jemand klopfte gegen die Autoscheibe. Viken stand draußen. Roar zuckte zusammen, brach die Verbindung ab und warf sein Handy auf den Beifahrersitz. Dann fuhr er die Scheibe herunter.
»Die Besprechung findet erst um zehn statt«, erklärte der Kommissar und schaute ihn prüfend an.
Plötzlich zog ein Bilderstrom vor Roars innerem Auge vorbei: Sein Vater, der die Schlafzimmertür aufreißt und ihn anschreit, er solle endlich aus den Federn kommen. Er steht nackt da, während sich Sara unter der Decke verkriecht. Er wird unter die Dusche kommandiert und sie nach Hause geschickt.
Er bekam nicht alles mit, was Viken sagte. Offenbar wollte er nach Aker Brygge und gemeinsam mit einigen Kriminaltechnikern den Tatort in Augenschein nehmen.
»Übrigens liegt das vorläufige Ergebnis der Haarprobe vor«, fuhr Viken fort.
»Hab ich schon gehört.«
Der Kommissar zog die Augenbrauen hoch.
»Schon gehört? Von wem?«
Roar hätte seinen Kopf am liebsten gegen das Lenkrad gerammt. Oder wäre mit Vollgas davongebraust. Doch er nahm sich zusammen und brachte heraus:
»Hab Flatland angerufen. Wollte eigentlich was anderes wissen.«
Er steckte sein Handy ein, hängte sich seine Tasche über die Schulter und öffnete die Wagentür. »Im günstigsten Fall reden wir von einer seltenen DNA -Variante.«
Er stieg aus dem Auto. Er war einen halben Kopf größer als Viken.
»Hast du schon einen Blick in
VG
geworfen?« Der
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