Die Netzhaut
abwenden.
»Aber vor gar nicht so langer Zeit hat er mich angerufen. Er hatte erfahren, dass Mailin an
Tabu
teilnehmen wollte. Ich glaube, er hat euch, irgendwo aus der Ferne, die ganze Zeit im Auge behalten.«
»Sie erfinden Geschichten, um sich interessant zu machen!«, rief sie. »Das haben Sie bei Mailin genauso gemacht, um sie hierher zu locken.«
Er setzte sich auf und beugte sich über den Tisch.
»Sie glauben offenbar immer noch, dass ich für ihren Tod verantwortlich bin.«
Es gelang ihr nicht, etwas zu entgegnen.
»Sie glauben, ich hätte sie in der Praxis getroffen, sie betäubt und in meinen Wagen verfrachtet. Und dann bin ich mit ihr im Kofferraum zu einer stillgelegten Fabrik gefahren, habe sie ausgezogen und mich dort mit ihr vergnügt, bis ich schließlich die Lust verlor und sie getötet habe.«
»Hören Sie auf!«
Ein Zucken ging durch sein Gesicht.
»Warum soll ich aufhören, wenn es genau das ist, was Sie von mir hören wollen?«
Sie stand auf, fühlte sich plötzlich wackelig auf den Beinen.
»Ich weiß nicht, warum ich hier bin.«
Auch Berger erhob sich, kam um den Tisch herum und baute sich vor ihr auf. Sie musste den Geruch seines nackten Körpers ertragen, nach Männerschweiß und ungewaschenen Haaren, den Geruch seiner Eingeweide, der aus seinem Mund drang, während er sich zu ihr hinabbeugte. Plötzlich veränderte sich sein Blick, weitete sich, ehe er zu zittern begann. Dann packte er sie an den Schultern, zog sie an sich und hielt sie krampfhaft fest.
»Ich weiß, was geschehen ist, Liss«, murmelte er mit erstickter Stimme. »Ich mochte sie wirklich. Sie hat das nicht verdient.«
Er drückt sie noch fester an sich. Liss spürt seinen weichen Kugelbauch und sein großes Geschlecht, das darunter hängt. Sie weiß, was nun geschieht. Das Licht zieht sich zurück und brennt sich in alles ein, das sie umgibt. Es schafft einen Raum, in dem sie verschwinden kann. In diesem Moment hörte sie ein Klingeln. Sein Griff löste sich, sie riss sich los, schnappte sich ihre Jacke, rannte auf den Flur und fummelte am Türschloss herum.
Draußen stand niemand. Sie warf die Tür hinter sich zu und sprang die Treppe hinunter. Erst als sie den Kirkeveien erreicht hatte, blieb sie stehen und drehte sich um. Doch sie wusste, dass er ihr nicht gefolgt war.
Ihr Handy klingelte. Obwohl sie auf dem Display sah, wer es war, nahm sie das Gespräch entgegen.
»Wo steckst du gerade?«, fragte Jomar Vindheim.
Sie faselte irgendetwas Unzusammenhängendes über Berger.
»Ich hole dich ab«, entgegnete er. »Bin ganz in der Nähe.«
Sie protestierte, war jedoch erleichtert, dass er sich davon nicht abbringen ließ.
26
D u brauchst einen Kaffee!«, sagte er, als sie wenige Minuten später neben ihm im Auto saß.
Kaffee war das Letzte, was sie brauchte. Sie wollte ihn einfach bitten, sie in die Langgata zu bringen, damit sie in ihr Zimmer verschwinden und allein sein konnte.
»Ich kann jetzt in kein Café gehen«, entgegnete sie.
»Dann habe ich einen besseren Vorschlag«, behauptete er. »Du bist ja früher schon mal bei mir zu Hause gewesen. Du weißt also, dass dort weder dein Leben noch deine Ehre in Gefahr sind. Und dein Verstand auch nicht.«
»Mein Verstand?« Sie war sich nicht sicher, worauf er hinauswollte.
»Was wolltest du bei Berger?«, wich er aus, während er aufs Gaspedal trat, um noch über die große Kreuzung in Majorstua zu kommen. »War es wegen deiner Schwester?«
Sie antwortete nicht. Er fuhr über eine weitere Kreuzung, diesmal bei Gelb, ehe er sagte: »Du glaubst, dass Berger etwas damit zu tun hat, stimmt’s?«
»Ich weiß es nicht, Jomar.«
Komischer Name, dachte sie, als sie ihn aussprach. So ungelenk. Sie entschloss sich, ihm zu vertrauen, und erzählte ihm, was in Bergers Wohnung vorgefallen war. Dass er angeblich ihren Vater gekannt hatte, verschwieg sie jedoch.
»Hat er dich bedroht? Verdammt, Liss, du solltest ihn anzeigen.«
Sie spürte immer noch die Hände, die sie an den massigen, weichen Körper gedrückt hatten … Wegen so etwas zur Polizei zu gehen, hatte keinen Sinn. Allerdings musste die Polizei erfahren, was er zu ihr gesagt hatte: »Ich weiß, was geschehen ist, Liss.« Ich muss Jennifer anrufen, dachte sie.
»Ich glaube nicht, dass er mich bedrohen wollte. Er wollte mir irgendwas erzählen. Es war dumm von mir, einfach davonzulaufen.«
»Es ist doch nicht dumm, vor einem Typen Reißaus zu nehmen, der so unberechenbar ist.« Er blickte sie
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