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Die Netzhaut

Die Netzhaut

Titel: Die Netzhaut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torkil Damhaug
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forschend an. »Du hättest gar nicht erst zu ihm fahren sollen. Das nächste Mal komme ich mit.«
    Sie zwang sich zu einem Lächeln.
    »Keine schlechte Idee. Gerüchten zufolge ist er jungen, attraktiven Männern sehr zugetan …«
    Sie hielt inne, spürte, dass er sie ansah.
     
    Seine Wohnung wirkte heller, als Liss sie in Erinnerung hatte. Für einen jungen Mann war sie außerdem ziemlich ordentlich. Vielleicht hatte er eine Putzhilfe. Eine Tür im Flur stand einen Spaltbreit offen. Sie erkannte ein hohes Bett mit schmiedeeisernen Ornamenten und einen Punchingball, der von der Decke hing. Die Möbel im Wohnzimmer stammten jedenfalls nicht von IKEA . Das Sofa und die Stühle sahen eher nach Jasper Morrison aus, doch sie verkniff sich die Frage, ob er an Design interessiert war. An einer Wand stand ein Regal mit Büchern, CD s und DVD s. Erst als er in der Küche verschwunden war, um Kaffee zu machen, warf sie einen näheren Blick darauf. Es waren vor allem Rap- CD s, was schon eher ihrem Eindruck von ihm entsprach. Actionfilme und Videospiele.
Sakrileg
und einige weitere Krimis. Auch ein paar Romane, darunter
Abbitte,
den sie selbst gelesen hatte. Sie nahm ihn aus dem Regal und hielt ihn in der Hand, als Jomar zurückkam.
    »Liest du etwa so etwas?«, rutschte ihr heraus. Sie hörte, dass ihre Frage ziemlich arrogant klang.
    »Bist du jetzt schockiert?«
    Er hielt ihr eine Kaffeetasse hin.
    »Ich wusste gar nicht, dass Fußballer lesen können«, versuchte sie ihre Ungeschicklichkeit durch unverhohlene Ironie zu überspielen.
    Er zog die Gardine beiseite. Die Wohnung lag im siebten Stock. Von hier aus sah der Himmel über Oslo wie eine grobe, graue Leinwand aus.
    »Das Buch hat mir mal ein Mädchen geschenkt«, erklärte er und ließ sich auf das Sofa fallen. »Sie sagte, ich solle es unbedingt lesen.«
    »Verstehe«, entgegnete Liss und stellte sich ein kleines Fußballgroupie vor, das sich mangels anderer Talente auf diese Art interessant machen wollte. »Und, hast du’s gelesen?«
    »Ja, hat mir gut gefallen. Vor allem die Tatsache, dass man nicht weiß, ob sie den Krieg überlebt haben oder nicht. Im Film war das etwas zu deutlich, fand ich.«
    Sie hob die Augenbrauen, tat überrascht.
    »Dir gefällt also solch ein offenes Ende?«
    »Hier hat’s jedenfalls gut funktioniert«, stellte er fest, ohne auf ihren spöttischen Ton einzugehen. »Das Mädchen ist übrigens eine Freundin von dir.«
    Diese Freundin musste Therese sein, die Liss
bitch
genannt hatte.
    »Kann ich hier eine rauchen, oder muss ich dazu sieben Stockwerke nach unten gehen?«
    Sie konnte durchaus noch warten, wollte ihn nur provozieren, denn plötzlich verspürte sie eine gewisse Irritation. Er hatte sie zu sich eingeladen, tauchte einfach überall auf, schickte ihr SMS und ließ einfach nicht locker, obwohl sie ihm eigentlich klar und deutlich signalisiert hatte, dass sie nicht an ihm interessiert war.
    Er stand auf und holte eine kleine Schale.
    »Hier«, sagte er. »Nimm das als Aschenbecher.«
    Auf der weißen Schale war die Zeichnung eines kleinen asiatischen Mädchens zu sehen. Ihre Augen waren nur zwei Striche. In der Hand hielt sie eine Walnuss.
    »Einen Balkon gibt es hier übrigens auch.«
    Er öffnete die Balkontür und begleitete sie hinaus in die Kälte. Holte sogar eine Jacke für sie. Liss erkannte sie wieder und musste lächeln.
    »Eigentlich hat mir das Buch so gut gefallen«, sagte er, nachdem er ihr Feuer gegeben hatte, »weil es mich an meinen Großvater erinnert hat.«
    »Ach wirklich? Ist der etwa auch unschuldig wegen Vergewaltigung verurteilt und später zum Kriegshelden geworden?« Plötzlich schoss ihr etwas durch den Kopf. »Du kanntest Mailin.«
    Für ein paar Sekunden nahm sein Gesicht eine dunklere Färbung an.
    »Kann schon sein … sehr oberflächlich.«
    »Warum hast du mir nichts davon gesagt?«
    Er zuckte die Schultern.
    »Wir hatten ja bisher kaum die Möglichkeit, in Ruhe miteinander zu reden. Noch nicht.«
    Sie überhörte die Aufforderung.
    »Wo hast du sie kennengelernt?«
    »Auf der Sporthochschule. Sie hat dort mal einen Kurs über sexuellen Missbrauch im Sportmilieu gehalten. Das ist schon ein paar Jahre her. Ich habe danach mit ihr gesprochen. Ich mochte sie.«
    Was er sagte, dämpfte ihre Irritation nicht im Geringsten. Sie rauchte die Zigarette zu Ende und drückte sie auf dem Kopf des asiatischen Mädchens aus.
    »Alle mochten deine Schwester. Es ist so schrecklich. Wenn ich irgendwas tun kann,

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