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Die Netzhaut

Die Netzhaut

Titel: Die Netzhaut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torkil Damhaug
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Schritte? Sie blieb regungslos liegen, lauschte in den Wind. Dann kroch sie wieder ein Stück nach vorne, einen Meter den Abhang hinauf, dann noch einen, rollte sich hinauf auf die Kuppe des Hügels.
    Er lehnte am Stamm einer Kiefer und stand direkt vor ihr. Schnalzte ein paarmal mit der Zunge, als wollte er sein Bedauern zum Ausdruck bringen. Liss versuchte, sich aufzurappeln.
    »Aber Liss, ich hab es dir doch gesagt.«
    Er beugte sich zu ihr hinab. In der Hand hielt er eine Axt.
    »Ohne mich gehst du nirgends hin«, flüsterte er. »Nicht ehe ich es dir erlaube.«

8
    S ie ließ sich einfach treiben, wie im warmen Strom der Gezeiten. Da hörte sie eine Stimme. Es war nicht die von Mailin, sondern die ihres Vaters, der sich durch das Schneetreiben gekämpft hatte, um ihr etwas zu sagen.
    Dieser Ort gehört dir, Liss. Dir und Mailin.
    Aber es ist doch deine Hütte.
    Er steht am Fenster und blickt hinaus.
    Von nun an gehört sie euch. Ich muss fort.
    Eine komische Art, sich auszudrücken. Es hörte sich nicht so an, als wolle er nach Berlin oder Amsterdam und würde in ein paar Wochen mit Geschenken für sie zurückkehren.
    Er setzt sich auf die Bettkante und streicht ihr über die Haare. Das tut er sonst nie. Sonst sieht er sie immer sehr lange mit einem seltsamen Lächeln an, berührt sie aber nicht.
    Wo willst du denn hin?
    Er schweigt lange und schüttelt schließlich sanft den Kopf.
    Ich werde dich vermissen, Liss. Wir sind aus dem gleichen Holz geschnitzt, du und ich. Daran kann niemand etwas ändern.
    Viljam hatte die Öllampe angezündet und die Axt auf die Kante des Kamins gelegt. Er blätterte in ihrem Notizbuch. All das, was sie Mailin geschrieben hatte. Sie wagte nicht, daran zu denken, was er mit Mailin getan hatte. Nur dass sie hatte frieren müssen. Liss fror auch und rollte sich in der Sofaecke zusammen. Sie war nicht böse auf ihn. Er hatte ihr noch einen Schuss gesetzt. Der gute Schmerz hielt sie eng umschlungen.
    »Jakka hat dich davon abgehalten, hinauszuschwimmen und dir das Leben zu nehmen«, begann sie und spürte, dass ihre Zunge dick und schwer war. »Er hat dich gerettet.«
    Viljam schaute nicht auf, blätterte weiter, schien ganz in ihre Notizen vertieft zu sein.
    »Du brauchtest jemand, der dich in den Arm nimmt. Aber er hat dich benutzt.«
    Er schmiss ihr Notizbuch hin und stand im nächsten Moment über ihr.
    »Wo hast du das her?«
    Sie konnte die Hände nicht heben, um sich zu schützen.
    »Hat sie dir noch mehr geschickt? Hast du noch weitere CD s? Wenn du welche versteckt hast, dann …«
    Es dauerte ein paar Sekunden, ehe sie verstand, was er meinte.
    »Es war nur diese eine, ich hatte sie unter der Matratze versteckt.«
    Er richtete sich auf.
    »Warum darf das mit Jakka niemand wissen?«, fragte sie mit einem Stöhnen. »Er hat dir das doch angetan. Du konntest nichts dafür.«
    »Du hast keine Ahnung, also halt die Klappe.«
    Er lachte, wurde aber sofort wieder ernst.
    »Er hat wahnsinnig viel riskiert, als er mir erlaubt hat, ihn regelmäßig zu besuchen. Er hat damit seinen Ruf aufs Spiel gesetzt, hätte alles verlieren, ins Gefängnis kommen können. Verstehst du? Er hat das alles riskiert, um mit mir zusammen zu sein. Wie viele Leute würden so viel aufs Spiel setzen, um einem dahergelaufenen Jungen zu helfen und eine Beziehung mit ihm einzugehen?«
    »Das kann ich verstehen«, murmelte sie.
    Er hob das Notizbuch wieder auf, setzte sich auf den Stuhl vor dem Kamin und las weiter.
    Sie stand mühsam vom Sofa auf, schwankte auf ihn zu, ins Licht der Öllampe. Sie stand nackt vor ihm, die Hände so stramm auf den Rücken gefesselt, dass ihr ein reißender Schmerz vom Handgelenk bis in die Finger schoss.
    »Du hast jemand umgebracht«, sagte er, ohne aufzublicken.
    Es war das erste Mal, dass dies jemand zu ihr sagte. Doch das spielte jetzt keine Rolle mehr.
    »Alles, was dort steht, ist wahr«, hörte sie sich sagen.
    »Und jetzt willst du mir anbieten, dass du die Schnauze hältst. Und im Gegenzug soll ich dich freilassen.«
    Daran hatte sie gar nicht gedacht.
    »Ich kann dich nicht gehen lassen«, stellte er fest. »Als du das letzte Mal hier warst, bin ich dir gefolgt. Ich musste herausfinden, ob du etwas weißt. Da hätte ich dich gehen lassen können, aber jetzt ist das unmöglich. Ich will dir nichts vormachen. Von hier wirst du nie mehr wegkommen.«
    Er warf ihr Notizbuch ins Feuer. »Verstehst du?«
    Liss sah, wie sich eine kleine Flamme um den roten Plüschumschlag

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