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Die Netzhaut

Die Netzhaut

Titel: Die Netzhaut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torkil Damhaug
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liefen ihre Wangen hinunter. Sie hörte etwas, lauschte. Als hätte der Wind ihre Schritte fortgetragen und würde das Geräusch nun zurückwerfen. Sie stapfte weiter durch den tiefen Schnee, löste den Haken vom Toilettenhäuschen, tastete sich vor, hob den Deckel, setzte sich auf das kalte Holz. Die feuchtkalten Böen fegten durch den Bretterverschlag und drangen durch sie hindurch.
    Danach blieb sie erneut draußen stehen und lauschte. Hörte den Wind und wieder das Geräusch, das kein Wind war, sondern sich von irgendwoher näherte. Das sind nicht meine Schritte im Schnee, dachte sie. Diese Schritte kommen von hinten. Zwei Arme schlossen sich um sie. Als hätte sie darauf gewartet. Dennoch versuchte sie, sich loszureißen. Ein Arm löste sich von ihr. Im nächsten Moment zuckte ihr ein Schmerz durch den Hals. Wie ein Schlangenbiss. Es brannte, und es breitete sich eine Wärme in Brust und Schultern aus.
    »Ganz ruhig«, flüsterte er in ihr Ohr. »Bleib ganz ruhig, dann passiert dir nichts.«
    Sie lag mit dem Rücken auf dem Sofa und stellte sich vor, wie der Schnee in die Hütte eindrang. Sie fror nicht. Die warme Schneedecke hüllte sie ein.
    Er stand mitten im Zimmer und hatte ihr den Rücken zugekehrt. Musste Holz nachgelegt haben, denn es brannte im Kamin. Ohne ihren schweren Kopf zu bewegen, folgte sie mit den Augen seinen Konturen. Von der Mitte bis zu den dunklen Haaren, die ihm nass auf die Schultern hingen.
    Sie war in der Lage, den Mund zu öffnen, und versuchte mit den Lippen Laute zu formen, die zu Wörtern wurden.
    »Was … hast du mit mir gemacht?«
    Das Echo ihrer Stimme rollte zu ihr zurück. Er drehte sich nicht um.
    »Ich hab dir einen Schuss gesetzt. Er wird dich entspannen. Du wirst eine angenehme Zeit haben.«
    Viljam, versuchte sie zu sagen, Johannes Viljam, Jo. Wir werden zusammen eine angenehme Zeit verbringen.
     
    Sie öffnete die Augen, soweit es ging. Jetzt fror sie. Im Raum war es dunkel. Die letzte Glut im Kamin. Sie konnte ihn nicht sehen, wusste aber, dass er da war. Hörte seinen Atem.
    Ihre Hände steckten fest. Sie waren auf dem Rücken zusammengebunden. Sie lag nackt in einer Ecke des Sofas. Ihr Mund fühlte sich geschwollen an.
    »Viljam.«
    Sie hörte ein Geräusch am Tisch. Dort saß er. Sie konnte erkennen, dass er immer noch seinen Anorak trug. Die Kapuze hatte er sich über den Kopf gezogen.
    »Ich friere«, brachte sie hervor.
    »Es ist besser zu frieren. Dann spürt man den Schmerz weniger. Die Kälte betäubt.«
    Seine Stimme hatte einen anderen Klang, den sie vorher nur in Ansätzen wahrgenommen hatte.
    »Warum hast du mir den Schuss gesetzt?«
    Er drehte sich zu ihr um.
    »Es ist am besten so, dann kommt es zwischen uns nicht zu Reibereien.«
    Er warf irgendetwas auf den Kaminsims.
    »Ich sehe auf deiner Anrufliste, dass du heute Abend niemand außer mir angerufen hast. Wir haben viel Zeit.«
    »Kannst du mir die Handschellen abnehmen?«
    Er schnalzte mit der Zunge.
    »So ist das jetzt eben«, sagte er mit betrübter Stimme. »Du wirst dich daran gewöhnen müssen, wie Mailin auch.«
    Sie schloss die Augen. Noch gelang es ihr, den Gedanken auf Distanz zu halten. Den Gedanken, dass es nicht Berger gewesen war, der Mailin ermordet hatte.
    »Du hast mich an dem Morgen angerufen. Nachdem Mailin verschwunden war. Ich hörte, dass du besorgt warst.«
    Er stand auf, kam auf sie zu und blieb vor ihr stehen. Sie ahnte die Form seines Kiefers, die Schatten seiner Augenhöhlen.
    »Sie hätte die Sache mit Ylva nicht ans Licht zerren sollen.«
    Liss wand sich hin und her.
    »Ylva? Hast du ein Verhältnis mit ihr?«
    Er zuckte die Schultern.
    »Hatte ich mal.«
    »Hat Mailin das herausgefunden?«
    »Genau das hat sie getan.«
    Er ging zum Kamin und drehte einen verkohlten Scheit um, der im nächsten Moment wieder aufflammte.
    »In einer der Zeitschriften, die sie abonniert hatte, stand ein Artikel über unaufgeklärte Morde. Erst dann hat sie den Zusammenhang begriffen. Bevor sie an diesem Tag hierher fuhr, recherchierte sie im Internet. Loggte sich schnell aus, als ich nach Hause kam, und löschte die Adresse. Aber ich habe sie gefunden, während sie im Bad war. Ein Haufen Material zu Ylva, das sie heimlich gelesen hatte.«
    Liss versuchte, ihre Gedanken zu sammeln. Doch es gelang ihr nicht, eine Verbindung zu dem herzustellen, was Viljam sagte.
    »Vor über zwei Jahren hatte ich ihr mal was von Ylva erzählt. In den ersten Sitzungen in der Welhavens gate. Und sie hatte die

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