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Die Netzhaut

Die Netzhaut

Titel: Die Netzhaut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torkil Damhaug
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Aufzeichnungen dieser Gespräche immer noch auf einer CD gespeichert, obwohl sie versprochen hatte, alles zu löschen. Alles, was ich über Jakka gesagt hatte.«
    Endlich verstand Liss: Er meinte den Ausdruck, den sie im Bezug des Sofakissens gefunden hatte. Das Mädchen in Bergen war Ylva gewesen. Vor vielen Jahren hatten die Zeitungen über sie berichtet. Sie war ermordet worden.
    »Du warst doch bei der Arbeit, als Mailin verschwand«, flüsterte sie, denn es war immer noch möglich, dass diese Gedanken nicht zusammengehörten. »Und dann warst du zu Hause bei meiner Mutter und Tage.«
    Er trat wieder näher an sie heran.
    »Das glaubst du. Das glauben alle. Aber als sie am Tag zuvor hierherfahren wollte, ist sie erst bei der Post gewesen und hat Geld eingezahlt. Ich bin dorthin und habe im Auto auf sie gewartet. Sie hätte weglaufen können, als sie mich gesehen hat, aber sie hat sich zu mir ins Auto gesetzt. In ihrer Tasche hatte sie jede Menge Ausdrucke von Artikeln, die sich um Ylva drehten. Sie hat ihre Recherche abgebrochen, als ich nach Hause kam, ist dann zum Postamt und hat sich dort ins Internet eingeloggt, um weiter rumzuschnüffeln. Darum bin ich mit ihr hierhergefahren. Ich war bei ihr, als es ihr schlechtging.«
    »War das hier?«, stammelte Liss. »Dass du Mailin mit der Spritze in die Augen gestochen hast?«
    »Nicht mit der Spritze, mit dem Korkenzieher. Ich musste ihn hineinschrauben.«
    Er beugte sich über sie. Liss vermochte gerade seine Augen zu erkennen. Ihr Körper fühlte sich so schwer an, dass sie sich nicht bewegen konnte.
    »Hast du das auch mit mir vor?«
    Er antwortete nicht.
    »Willst du nicht, dass ich dich sehe?«
    »Halt die Schnauze!«, sagte er, und sie zuckte zusammen. Das Neue, Bedrohliche in seiner Stimme war gewachsen und hatte alles andere verdrängt. Sie versuchte, Wörter zu sammeln, die ihn vielleicht aufhalten und dazu bringen konnten, eine andere Richtung einzuschlagen.
    »Mailin ist doch wieder von hier weggefahren. Sie ist erst am nächsten Abend verschwunden.«
    Er lachte leise. Sie hörte ein unterdrücktes Kichern.
    »Denk mal drüber nach, während ich im Schuppen bin. Sollte mich nicht wundern, wenn du es herausfindest. Eigentlich bist du ja nicht so schwer von Begriff. Schade, dass du nie gelernt hast, deinen Kopf richtig zu gebrauchen.«
    Sie hörte, wie er die Haustür abschloss.
    War das der Moment, als du in das Buch geschrieben hast, Mailin? Während er im Schuppen war? Du bist zum Kamin gekrochen und hast ein Stück Kohle genommen. Vielleicht konntest du nicht einmal etwas sehen.
    Die Substanz, die er ihr gespritzt hatte, strömte durch sie hindurch, zog sich wieder zurück und entfachte erneut ihre Wirkung. Mit jedem Mal wurde sie benommener und träger. Ließ sich von diesen Wellen davontragen, hatte keinen Willen mehr.
Ich werde auf dich aufpassen.
Ein Bild tauchte aus dem Dunkel auf. Mailin, gefesselt und nackt, mit blutenden Augen.
Ich werde nicht zulassen, dass dir etwas Böses geschieht, Liss.
    Sie rollte sich auf die Seite und kam auf die Beine. Der Stuhl stand immer noch vor dem Küchenschrank. Mit einem Fuß rückte sie ihn an die Arbeitsplatte heran, kletterte hinauf und schob sich rückwärts zum Fenster. Es gelang ihr, die Handschellen unter den Fensterhaken zu bringen. Sie zog ihre Hände nach oben, und der Haken sprang auf. Den oberen Haken konnte sie mit den Händen nicht erreichen. Sie streckte sich und bekam ihn mit dem Mund zu fassen, wie ein Fisch, dessen Maul sich um den Köder schließt. Sie bewegte ihn ein Stückchen nach oben. Biss noch mal zu, dann sprang er aus der Öse. Mit der Zunge drückte sie ihn zur Seite.
    Das Fenster war zugefroren. Sie lehnte sich mit ihrem ganzen Gewicht dagegen, doch es passierte nichts. Als sie ihren Kopf mit aller Kraft gegen die Sprossen stieß, sprang es auf.
    Sie spürte nicht den kalten Schnee an ihren Füßen.
Nicht zum Schuppen, Liss! Die andere Richtung, weg von der Hütte.
Sie sprang von der Veranda, schlich ein Stück in Richtung Wasser und versteckte sich hinter einem Baum. Sie krabbelte den Hügel hinauf, der Wind trieb den frisch gefallenen Schnee vor sich her. Sie musste bis ganz nach oben gelangen. Dort würde sie festeren Grund unter den Füßen haben und loslaufen können. Sie stieg über eine Schneewehe, stürzte und fand keinen Halt mehr. Etwas lief ihr in die Augen, sie rieb ihr Gesicht im Schnee, der sich dunkel färbte. Sie sank ein und krabbelte weiter. Hörte sie vielleicht

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