Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Netzhaut

Die Netzhaut

Titel: Die Netzhaut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torkil Damhaug
Vom Netzwerk:
haben.«
    »Wieso? Ganz im Gegenteil. Aber dass du ohne Gepäck nach Norwegen kommst und dich sogleich aus ihrem Kleiderschrank bedienst, das passt zu ihrer Beschreibung.«
    In seinem Gesicht war der Anflug eines Lächelns zu erkennen. Sie war erleichtert, dass er es mit Humor nahm.
    »Hat sie immer noch denselben Betreuer wie früher?«, fragte sie, während sie ihre Füße wieder in die nassen Stiefeletten zwang. »Geht sie immer noch zu Dahlstrøm?«
    »Dahlstrøm? Kennst du ihn etwa?«, fragte Viljam überrascht.
    »Ich habe ihn im Sommer auf dem Kongress in Amsterdam kennengelernt, den er zusammen mit Mailin besucht hat. Mit ihm möchte ich gerne reden.« Sie warf einen Blick auf die Uhr. »Ich habe in Mailins Praxis übrigens eine Kollegin von ihr getroffen. Sie hat mich hereingelassen. Torunn Gabrielsen. Kennst du sie?«
    »Oberflächlich.«
    Eigentlich hatte sie sich nach dem anderen Kollegen erkundigen wollen. Wie war Mailin nur in der Lage, sich das Wartezimmer mit ihm zu teilen? Sie fragte sich, ob Viljam wusste, dass Pål Øvreby und Mailin mal ein Paar gewesen waren. Der Gedanke erfüllte sie mit neuer Unruhe, also fragte sie nicht mehr.
    *
    Der Schneeregen hatte aufgehört. Die Straßen sahen aus wie in Öl gebadet. Ziellos irrte sie umher. Durchquerte einen Park. Ging eine schmale Straße entlang, an deren Ende ein Café lag. Sie warf einen Blick hinein. Nur zwei Gäste saßen im Halbdunkel, ein älteres Paar, je einen halben Liter Bier vor sich. Sie entschied sich für einen Tisch am Fenster. Mit Blick auf ein Fabriktor und einen Verkehrskreisel. Auf dem Bürgersteig hingen in einem Busch grelle Weihnachtslichter. Ihr Handy klingelte. Sie hatten es herausgefunden. Bald würden sie hier sein, um sie festzunehmen.
    »Liss Bjerke? Hier ist Judith van Ravens.«
    »Wie haben Sie meine Nummer herausbekommen?«
    »Über die Anruferliste. Sie haben es mehrmals bei mir probiert, ehe Sie hierherkamen.«
    Alles, was mit Zako zu tun hatte, war hinter einer Tür verborgen. Liss hatte versucht, sich von dieser Tür fernzuhalten. Doch jetzt war sie weit aufgestoßen worden, sodass alles aufwirbelte, was sich dahinter befand. Mit einem Mal erfasste sie ein gewaltiger Zorn. Warum hatte sie sie nicht von der Liste gelöscht?.
    »Ich habe lange nachgedacht«, kam es vom anderen Ende.
    »Und jetzt rufen Sie mich an, um sich mir anzuvertrauen?«
    Judith van Ravens seufzte.
    »Ich musste es herausfinden.«
    »Was?«
    »Wozu Zako das Foto von Ihrer Schwester brauchte. Ich habe kein Auge mehr zugemacht, seit Sie hier waren. Ich habe ein paar Freunde in Amsterdam angerufen. Die Polizei glaubt, dass Zako versehentlich ums Leben kam.«
    »Das habe ich Ihnen doch gesagt.«
    »Ich sollte ihnen wohl trotzdem die Fotos zeigen, meinen Sie nicht?«
    Liss schwieg für eine Weile. In ihrem Kopf drehte sich alles. Das Bild von Zako auf dem Sofa. Hände unter einem Wasserhahn, die seine Flasche ausspülen. Es sind ihre Hände.
    »Nein, das denke ich nicht.«
    »Warum nicht?«
    Judith van Ravens’ Stimme war schärfer geworden, als könne ihr Zweifel jederzeit in Misstrauen umschlagen.
    »Ich will, dass die Polizei meine Schwester findet. Das ist das Einzige, was zählt. Wenn sie einen Haufen verwirrender Informationen bekommt, wird das die Ermittlungen nur verzögern, und am Ende ist es vielleicht zu spät. Das verstehen Sie doch.«
     
    Sie leerte den Rest ihrer Kaffeetasse, die man ihr gebracht hatte. Eigentlich wollte sie nicht länger sitzen bleiben, aber sie wusste nicht, wohin. Sie steckte die Hand in die Tasche, um eine Schachtel Zigaretten herauszuziehen, entschied sich jedoch anders. Sie holte das Notizbuch heraus, das sie aus Mailins Behandlungszimmer mitgenommen hatte und starrte auf Mailins handgeschriebenen Namen auf der Innenseite des Umschlags. Dann schrieb sie ihren Namen darunter, in schön geformten Buchstaben. Mailin war ihr stets überlegen gewesen, wenn es galt, den Kopf zu benutzen. Sie war stärker und ausdauernder, doch ihre Hände schienen einer anderen Welt anzugehören.
    Liss.
    Sie betrachtete lange diese vier Buchstaben.
    Liss ist Mailins Schwester,
schrieb sie weiter.
Liss Bjerke.
    Liss Bjerke verständigt die Polizei. Sie hat nichts von ihnen gehört. Weiß sie etwas, das ihnen hilft, Mailin zu finden?
    Verabredung am 11. Dezember, dem Nachmittag, an dem sie verschwand. JH.
    Das Bild des auf dem Sofa liegenden Zako verblasste, während sie schrieb. Löste sich nicht völlig auf, trennte sich aber von den

Weitere Kostenlose Bücher