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Die Netzhaut

Die Netzhaut

Titel: Die Netzhaut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torkil Damhaug
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anderen Gedanken.
    Es hilft, an dich zu denken, Mailin.
    Was wolltest du Berger vor Beginn der Sendung erzählen?
    Viljam weiß es. Muss ihn dazu bringen, es zu verraten.
    Sie wusste nicht, wie sie darauf kam. Sie bestellte einen weiteren Espresso. Der Kellner schien aus dem Mittleren Osten oder aus Pakistan zu kommen. Die Blicke, die er ihr zuwarf, waren nicht misszuverstehen. Er wollte ihren Körper, ohne etwas von ihr zu wissen. Eine unkomplizierte Sache, die eine bestimmte Reaktion in ihr auslöste. Eine Reaktion, die sich kontrollieren ließ. Sie hielt seinem Blick so lange stand, bis er schließlich wegschauen musste. Er kam zu ihr, stellte den Kaffee auf den Tisch und blieb stehen, als warte er auf irgendetwas.
    »Soll ich gleich bezahlen?«
    »Bezahl, wenn du gehst.«
    Er beugte sich ein Stück vor. Er hatte volle Haare und dichte Augenbrauen. Der Geruch nach Salz und Fett, den er verströmte, war so widerlich, dass er für einen Moment ihre Gedanken betäubte.
    Als er zur Theke ging, sah sie ihm nach und starrte dabei so angestrengt auf seinen breiten Rücken und seine schmalen Hüften, dass er es spüren musste.
    Sie nahm sich wieder das Notizbuch vor.
    Alles Mailin erzählen, was in der Bloemstraat geschah.
    Zako ist erstickt. Jemand hat ihm Schlaftabletten ins Bier getan.
    Was sagst du dazu, Mailin?
    Du würdest mich bitten, mit jemand anders darüber zu reden.
    Dahlstrøm anrufen.
    Eine Zeitlang drückte sie ihren Stift gegen die Stirn.
    Du darfst nicht verschwinden, Mailin. Ich brauche dich.

7
    Mittwoch, 17. Dezember
    T ormod Dahlstrøm nahm ihre Hand und hielt sie fest. Bestimmt wollte er dadurch sein Mitgefühl zum Ausdruck bringen. Sie wusste, das er ungefähr Mitte fünfzig war, doch er hatte etwas an sich, das ihn jünger wirken ließ. Es war nicht sein hervorstehendes Kinn oder die Kontur seines fast kahlen Schädels, der von einem hellen Kranz blonder Haare umgeben war. Vielleicht waren es seine tiefliegenden hellblauen Augen, dachte sie. Vor vier Jahren war sie ihm das erste Mal begegnet. Das zweite Mal vor einem halben Jahr, als er gemeinsam mit Mailin an dem Kongress in Amsterdam teilgenommen hatte. Mailin hatte damals geprahlt, er würde einen der wichtigsten Vorträge halten, und darauf insistiert, dass Liss ihnen später ein ausgefallenes Restaurant zeigte. Liss hatte einen konkreten Verdacht, warum sich ihre Schwester so sehr ins Zeug legte, ließ sich jedoch darauf ein. Dahlstrøm hatte seit Jahren eine feste Spalte im
Dagbladet,
in der er Leserbriefe beantwortete, die sich um Eheprobleme, Spielsucht, Drogenabhängigkeit, Untreue, Frigidität und nicht zuletzt um Essstörungen drehten. Zu diesem Thema hatte er mehrere Bücher veröffentlicht, wie Mailin ihr mitteilte.
    Die Praxis von Dahlstrøm lag im Souterrain seiner Villa, mit Blick auf den Garten und ein paar Tannen eines Wäldchens am Frognerseterveien.
    »Geht sie immer noch zu dir?«, fragte Liss, nachdem sie in dem weichen Ledersessel Platz genommen hatte.
    »Das weißt du?« Er wirkte überrascht. »Eigentlich spricht Mailin nicht darüber.«
    »Sie vertraut mir.«
    »So war das nicht gemeint«, versicherte Dahlstrøm.
    So hatte sie das auch nicht verstanden. Doch sie beschlich das beklemmende Gefühl, dass Mailin mit ihm über sie gesprochen hatte und er sich denken konnte, was in ihrem Kopf vor sich ging.
    Er probierte den Kaffee aus einer Thermoskanne, verzog das Gesicht und bot an, neuen zu kochen. Sie lehnte dankend ab. Im Zimmer nebenan wartete bereits eine Frau in ihrem Alter.
    »Ich will deine Zeit nicht lange in Anspruch nehmen. Ich weiß ja, dass du beschäftigt bist.«
    »Ich freue mich, dass du mit mir reden willst«, entgegnete er.
    Liss war stets auf der Hut gewesen, wenn sie mit Mailins Kollegen sprach. Als sie noch jünger war und Mailin sie mit irgendwelchen Kommilitonen bekannt gemacht hatte, war sie davon überzeugt gewesen, diese könnten durch sie hindurchblicken oder würden sie bei der unauffälligsten Bemerkung oder Geste durchschauen. Nach und nach war ihr Glaube an diese magischen psychologischen Fähigkeiten verschwunden, doch stattdessen musste sie darauf achten, ihre Irritation zu unterdrücken, ihre Lust an der Provokation, die jeder Psychotherapeut bei ihr auslöste. Zwei Mal hatte sie eine Therapie begonnen und beide Male nach wenigen Stunden abgebrochen. Sie hatte sich geschworen, nie mehr einen Psychologen, schon gar keinen Psychiater aufzusuchen.
    Dahlstrøm war Psychiater.
    »Zurzeit finde ich

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