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Die Netzhaut

Die Netzhaut

Titel: Die Netzhaut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torkil Damhaug
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vernommen.«
    »Habt ihr etwas gegen ihn in der Hand?«
    »Er scheint ein brauchbares Alibi zu haben.«
    »Nur brauchbar?«
    »Bei Mordfällen gibt es keine wasserdichten Alibis«, erklärte Roar. »Selbst wenn jemand zum Tatzeitpunkt auf einer Audienz beim König war, heißt das noch lange nicht, dass er mit der Sache nichts zu tun hat.«
    »Vor allem, wenn der König ermordet wurde«, entgegnete Jennifer.
    Roar lächelte kurz.
    »Den meisten Morden gehen Konflikte zwischen Ehepartnern, Lebensgefährten und Familienmitgliedern voraus.«
    »Aber die Statistik hilft euch im Einzelfall nicht weiter, stimmt’s?«
    »Natürlich nicht. Doch der Ehemann oder Lebensgefährte steht auf der Liste der Verdächtigen zunächst ganz oben. Die Ermittlungen werden dann zeigen, ob er auf der Liste weiter nach unten rutscht oder als Verdächtiger vollkommen ausscheidet.«
    »Wundert mich kein bisschen, dass Viken so denkt«, entgegnete sie säuerlich.
    »Das bedeutet ja nicht, dass wir uns von Anfang an auf die falschen Leute versteifen«, versicherte Roar. »Die nächsten Angehörigen werden routinemäßig vernommen, das versteht sich doch von selbst. In diesem Fall auch ihr Stiefvater, die Mutter sowie der leibliche Vater, der angeblich in Kanada lebt. Danach werden wir uns ihren Kollegen und Patienten …«
    Er hielt inne.
    »Bist du dir nicht sicher, wie viel du mir erzählen darfst?«
    Er dachte einen Moment nach.
    »Du bist ja in gewisser Weise an den Ermittlungen beteiligt.«
    »In gewisser Weise? Was würdet ihr eigentlich tun, wenn ihr uns von der Pathologie nicht hättet?«
    Er gab ihr völlig recht.
    »Offenbar war Mailin Bjerke mit Berger in ihrer Praxis verabredet, und zwar an jenem Donnerstag, wenige Stunden vor Beginn der Livesendung«, verriet er. »Berger ist angeblich auch hingefahren, hat sie aber nicht angetroffen. Durch ihr Handy wissen wir, dass sie ihm gegen halb sechs eine SMS geschickt hat. Um kurz nach sieben hat sie ihn dann vergeblich versucht anzurufen und daraufhin eine weitere SMS geschickt.«
    »War das nicht ungefähr der Zeitpunkt ihres Verschwindens?«
    Roar dachte nach.
    »Das letzte Mal gesehen wurde sie am Tag zuvor, nachdem sie von zu Hause weggefahren war, auf dem Postamt am Carl Berners plass.«
    »Da seid ihr ganz sicher?«
    »Ja. Der Schalterbeamte hatte keinen Zweifel, als ich ihm das Foto gezeigt habe. Er konnte sich noch detailliert an alles erinnern. Sie hat ein Kundenterminal benutzt, sich Kontoauszüge ausgedruckt und eine Überweisung vorgenommen. Kurz darauf ist sie noch mal wiedergekommen, hat einen gefütterten Umschlag gekauft und ein Päckchen verschickt. Sie soll plötzlich ängstlich gewirkt haben, da ist sich der Postbeamte ganz sicher, aber wohin sie das Päckchen verschickt hat, wusste er beim besten Willen nicht mehr.«
    »Ängstlich wegen eines Päckchens?«
    »Das wissen wir nicht. Dass Zeugen die Vorgänge dramatisieren, ist normal. Vor allem, wenn es um einen Mord geht.«
    »Ich habe euch doch von diesem Fall erzählt«, sagte Jennifer. »Das Mädchen, das vor fünf Jahren in Bergen ermordet wurde.«
    »Wir haben gestern bei der Morgenbesprechung darüber diskutiert«, entgegnete Roar.
    »Und?«
    »Und was?«
    Jennifer runzelte die Stirn.
    »Was wollt ihr in dieser Sache unternehmen?«
    Roar schien sich über ihren fordernden Tonfall zu wundern. Vielleicht war es das, worauf sie die ganze Zeit hinauswollte.
    »Natürlich werden wir uns diesen Fall noch mal genau ansehen. Aber wir können nicht alles auf einmal machen.«
    Jennifers Irritation wuchs.
    »Das Mädchen in Bergen wurde nackt in einem entlegenen Wald gefunden. Sie war gefesselt, doch nichts deutete auf sexuellen Missbrauch hin. Es war November. Sie ist erfroren. Jemand hat ihr mehrere Male mit einem spitzen Gegenstand in die Augen gestochen. Jetzt vergleich das mal mit dem aktuellen Fall, und dann sag mir, warum die Suche nach einem Zusammenhang nicht absolute Priorität hat.«
    Roar hob beide Hände.
    »Bitte nicht schlagen«, bat er mit dünner Stimme.
    Jennifer spürte, wie ihr Zorn nachließ.
    »Ein paar Schläge auf den nackten Hintern würden dir nicht schaden«, entgegnete sie streng.
    »Einverstanden«, sagte Roar und stand auf. »Aber nur im Schlafzimmer. Ich will die Nachbarn da nicht mit reinziehen.«

6
    Montag, 29. Dezember
    L eere Straßen. Es ist Nacht. Er hat seit dem frühen Morgen nichts gegessen. Es ist kälter geworden. Er hätte seine Jacke anziehen sollen. Hat sie in der Eile nicht

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