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Die Netzhaut

Die Netzhaut

Titel: Die Netzhaut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torkil Damhaug
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mit all dem Gerede das aufhalten zu können, was in ihm wütete, was ihn dazu brachte, zu laufen und Drogen zu nehmen. Sie behauptete den Zusammenhang zu verstehen, zu begreifen, warum er nichts anderes im Kopf hatte, als bald wieder eine Linie zu ziehen oder eine Pille einzuwerfen. Warum der Gedanke daran, und das Laufen, ihm die Möglichkeit gaben, durchzuhalten. Sie schlug ihm Medikamente vor. Nicht dieses Dreckszeug, das die Leute fett und träge machte, sondern etwas Neues, das das Verlangen dämpfte. Falls sie etwas verstanden hatte, würde es ihm nicht viel nützen. »Mailin ist tot«!, rief er, als er am letzten Häuserblock vor Galgeberg zum ultimativen Endspurt ansetzte.
    Mailin war tot, und in ihrer Praxis war eine Frau aufgetaucht, die er noch nie gesehen hatte. Sie war lang und dünn und hatte einen seltsamen Blick. Bestimmt auch eine Patientin von ihr, so was kann man spüren. Aber dann war sie ihm plötzlich gefolgt, tauchte am Bahnhof und in Sinsen auf und stellte ihm neugierige Fragen. Stürzte sich auf ihn und versuchte ihn zu erwürgen.
    Er musste herausfinden, wer sie war. Er wusste, wen er danach fragen konnte. Der Einzige, auf den Verlass war.

7
    S eit über zehn Jahren arbeitete Jennifer nun schon mit Professor Dr. med. Olav Korn zusammen. Dennoch war es ihr bisher nicht gelungen, ihn in das hippokratische Persönlichkeitssystem einzuordnen. Korn strahlte eine Ruhe aus, die sich auf seine Umgebung übertrug. Es lag nahe, ihn als Phlegmatiker zu bezeichnen. Doch bei der Arbeit war er sehr effektiv und erledigte rasch alle anfallenden Arbeiten, Obduktionsberichte wie Budgetfragen. Er hatte zu Themen wie dem plötzlichen Kindstod oder dem Einfluss von Alkohol und Drogenkonsum während der Schwangerschaft geforscht, publizierte in internationalen Fachzeitschriften und nahm an der gesellschaftlichen Diskussion über Biotechnologie und Ethik teil. Trotz seiner ausgedehnten Vortragstätigkeit auf der ganzen Welt erlebten ihn die Mitarbeiter des Rechtsmedizinischen Instituts als äußerst präsenten Chef. Ohne Korn wäre Jennifer niemals so lange am Institut geblieben, vielleicht nicht einmal Rechtsmedizinerin geworden. Sie war froh, dass bis zu seiner Pensionierung noch ein paar Jahre Zeit waren, obwohl er mehrmals darauf hingewiesen hatte, dass sie eine absolut geeignete Nachfolgerin als Direktorin sei.
    Korn telefonierte, als sie hereinkam, doch er winkte sie heran und gab ihr ein Zeichen, sich hinzusetzen. Während er sein Gespräch beendete, musterte sie ihn verstohlen. Er war zweiundsechzig und sah eigentlich auch nicht jünger aus, doch war etwas in seinem Blick, in seinen Bewegungen und seiner Mimik, das ihn jünger wirken ließ. Er hatte volles, metallgraues Haar und war glatt rasiert. Seine Augenbrauen wucherten nicht in alle Richtungen, und es wuchsen ihm auch keine Haarbüschel aus Nase und Ohren, wie es bei Ivar bereits der Fall war. Korn achtete auf sein Äußeres, ohne im mindesten eitel zu wirken. Jennifer hatte sich stets von älteren Männern angezogen gefühlt.
    Er legte auf und wandte sich ihr zu.
    »Es geht um die Frau, die in Hurum gefunden wurde«, sagte sie.
    »Wie ich hörte, ist Viken mit dem Fall betraut worden«, entgegnete er. Offenbar wollte er darauf hindeuten, dass sie schon öfter zu ihm gekommen war, um ihn hinsichtlich der Zusammenarbeit mit dem Kommissar um Rat zu fragen.
    »Damit komme ich schon klar«, entgegnete Jennifer. »Ich habe keine Probleme mehr mit ihm. Aber natürlich gefällt es ihm nicht, wenn ich mich in die Ermittlungen einmische.«
    Korn hob die Augenbrauen.
    »Tun Sie das denn?«
    Sie seufzte.
    »Er tauchte urplötzlich während der Sektion auf, und da habe ich versucht, ihn auf einen Fall aufmerksam zu machen, der für die jetzigen Ermittlungen von großer Bedeutung sein könnte.«
    Sie erzählte ihm von den Parallelen zum Mordfall in Bergen.
    »Die Polizei sollte sich glücklich schätzen, dass ausgerechnet Sie sich an Weihnachten zur Verfügung gestellt haben«, bemerkte Korn. »Es wäre weiß Gott nicht jeder Kollege bereit gewesen, den Weihnachtsmorgen in unserem Keller zu verbringen. Und was diesen von Ihnen erwähnten Fall betrifft, so sollte die Polizei keine Zeit verlieren und die Sache schleunigst überprüfen.«
    Sie lächelte. Er gehörte zu den wenigen Männern, die sie loben konnten, ohne dass sie irgendwelche Hintergedanken vermutete.
    »Ich frage mich, ob ich noch mehr tun kann. Ich habe mit einem Kollegen vom Gades-Institut

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