Die neue arabische Welt
erhielt ein Staatsbegräbnis, auch König Faisal gab sich die Ehre.
TEIL IV
VERPASSTECHANCEN
GESPALTENE FRONT
Die Königsfamilie Saud wird von liberalen
Reformkräften wie von islamistischen Eiferern
attackiert. Mit kleinen Konzessionen und großem
Füllhorn versucht sie sich Zeit zu erkaufen.
Von Dieter Bednarz
Der Herausforderer des Herrscherhauses strotzt nicht gerade vor Zuversicht. Abdul Aziz Alkhamis, 49, sitzt im Londoner Park Club, stochert in seinen Linguini, nippt am Mineralwasser und schaut hinaus auf das satte Grün des Cricketfelds. Im Restaurant der weitläufigen Freizeitanlage, ganz in der Nähe seines Hauses, trifft er sich oft zu politischen Beratungen über die Zukunft seiner Heimat. Wie soll der Kampf für Meinungsfreiheit und Demokratie in Saudi-Arabien weitergehen? Wer kommt nach König Abdullah? Wann kippt der Thron?
In seinem ersten Leben war der stämmige Mann mit dem vollen schwarzen Haar und dem buschigen Schnauzer ein bekannter Chefredakteur. In Riad, der Hauptstadt des Königreiches, zählte Prinz Salman, 75, Bruder des Regenten Abdullah und einer der potentiellen Thronanwärter, zu seinen Mentoren. Aber Alkhamis war kein Hofberichterstatter. Ungeachtet aller Mahnungen griff er Tabuthemen auf: Vetternwirtschaft, Korruption, die Prasserei der fast 7000 Prinzen. Er wollte seine Leser wachrütteln, Wandel bewirken, »zum Wohle meines Landes«, wie er sagt. Als Freunde ihm zuflüsterten, er sei zu einem Sicherheitsrisiko geworden, sein Name stehe auf der Fahndungsliste,
setzte er sich nach Großbritannien ab. Damit begann sein zweites Leben.
Aus einer eher bescheidenen Backsteinvilla im Londoner Stadtteil East Acton organisiert Alkhamis seit zehn Jahren den Feldzug gegen die Paläste der Al Saud. Als Mitbegründer des internationalen Zentrums für Demokratie und Menschenrechte in Saudi-Arabien ist er ein international respektierter Vertreter der Opposition.
Es ist eine vielfältig fraktionierte Front, die sich gegen das Herrscherhaus aufbäumt. Neben eher liberalen Aktivisten wie Alkhamis wettern auch islamistische Eiferer gegen die Al Saud. Sie geißeln das Königshaus als Lakai der USA und wollen es stürzen. Die schiitische Minderheit wiederum, die vor allem im erdölreichen Osten des Landes lebt, fordert nicht nur ein Ende ihrer Diskriminierung durch das streng religiöse Regime. Viele Schiiten würden sich am liebsten ganz aus dem Staat lösen. Manche fordern Eigenständigkeit, andere träumen vom Anschluss an ihre Glaubensbrüder im benachbarten Irak.
Gemeinsam ist allen Gegnern der Al Saud nur die Hoffnung, dass die Revolutionen in Tunis, Ägypten wie auch im abgeschotteten Syrien den eigenen Kampf beflügeln. Anfang des Jahres wähnte Alkhamis sich der Heimkehr nahe. Unter dem Eindruck des Sturzes von Ägyptens Autokraten Husni Mubarak verspürte er auch in Saudi-Arabien den »Wind of Change«. Offen spekulierte er über das Einknicken des Regimes. Zwei, drei Jahre gab er dem Absolutismus noch, nicht viel länger.
Die Hoffnung verflog schnell. Der Volksaufstand in Riad blieb aus. Mit Gewaltandrohungen und Geldversprechen habe das Königshaus auch die leisesten Reformforderungen aus der Bevölkerung erstickt, sagt Alkhamis resigniert. Dem Aufruf zu einem eigenen »Tag des Zorns« am 11. März
vor dem Gerichtsgebäude in Riad sei nur ein einziger Demonstrant gefolgt – den man prompt verhaftet habe.
Alkhamis und seine Mitstreiter fordern eine Familie heraus, die ihren unbedingten Willen zur Macht in zweieinhalb Jahrhunderten bewiesen hat: erst im Kampf mit dem Osmanischen Reich, später im Ringen mit dem Herrscherhaus der Haschemiten. Und wie schon in der Vergangenheit stützen sich die Al Saud auch bei der Abwehr panarabischer Revolutionsfunken auf eine religiöse Führung, die in der islamischen Welt so gehasst wie gefürchtet wird: auf die Prediger der fundamentalistisch-sektiererischen Wahhabiten.
Der Schulterschluss geht zurück auf das Jahr 1744. Damals herrschte im Nadschd, dem Hochland im Zentrum der Arabischen Halbinsel, Mohammed Bin Saud über nicht viel mehr als das Provinznest Dirija, heute ein Vorort von Riad. Und Mohammed Bin Abd al-Wahhab war ein Korangelehrter, den man aus seiner Heimatstadt Ujaina – nur einen Tagesritt mit dem Kamel weiter nördlich – verstoßen hatte. Die Bewohner wollten seine Hetzerei gegen die Verlotterung der Sitten nicht mehr hören.
Während die meisten Beduinen die Gebote des Glaubens wenig befolgten, predigte Bin
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