Die neue arabische Welt
Trostpflaster und halbherzige Reformversprechen reichen? Wie lange lassen sich vor allem die jungen Menschen noch durch die Sicherheitsdienste einschüchtern? Wann folgen auch in Riad und Dschidda, in Mekka und Medina Zehntausende einem Aufruf zum »Tag des Zorns«?
Mit kleinen Konzessionen und großem Füllhorn – allein in diesem Jahr dürften die Erdöleinnahmen rund 300 Milliarden Dollar betragen – könnte sich das Königshaus immerhin Zeit erkaufen. Auch ein handfester Streit um den Thron ist nicht in Sicht. Von den 43 anerkannten Söhnen
des legendären Ibn Saud leben noch etwa 20. Drei gelten als unumstrittene Anwärter auf die Regentschaft. Auf König Abdullah, 86, könnte schon bald dessen schwer kranker Bruder Sultan, 83, folgen; vielleicht übernimmt aber auch gleich der erzkonservative Naïf, 78, die Macht, der seit 1975 Innenminister ist.
Der jüngste unter den Thron-Prinzen ist Salman, der mächtige Gouverneur von Riad, der wieder als etwas liberaler gilt. Nach dessen Tod, glauben Oppositionelle wie Alkhamis, könnte es jedoch zu einer Familienfehde um die Thronfolge kommen, die das Haus Saud schwächt – und der Opposition eine Chance gibt.
Vorerst sieht der Saudi-Arabien-Experte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, Guido Steinberg, den Thron jedenfalls nicht wanken. In einer »Stabilitätsstudie« für die renommierte Fachzeitschrift »Jane‘s Intelligence Review« bewertet er die Wahrscheinlichkeit eines Umsturzes als »minimal«.
Wann also wird Abdul Aziz Alkhamis aus seinem Londoner Exil heimkehren nach Riad, wo er noch immer ein großes Haus besitzt? Alkhamis blickt auf das weitläufige Gelände seines Clubs. Dort tobt Omar, 9, das jüngste seiner sechs Kinder. Alkhamis hat keinen Zweifel, dass zumindest sein Sohn einmal in Saudi-Arabien leben wird. Als wirklich freier Bürger, in seiner eigentlichen Heimat, die dann vielleicht nicht einmal mehr den Namen der Herrscherfamilie trägt. Entschlossen sagt der Oppositionsführer: »Wir werden siegen.«
Mohammed und Herr Cohen
Rivalität und Ablehnung auf beiden Seiten
prägten früh das Verhältnis zwischen Israel und
den arabischen Nachbarn. Warum wurden
alle Friedenschancen versäumt?
Von Tom Segev
Im September 1906 nahm ein altes russisches Passagierschiff Kurs auf Jaffa, an Bord waren auch einige osteuropäische Juden, die sich in Palästina niederlassen wollten. Einer von ihnen, ein junger Mann namens David Gruen aus dem polnischen Schtetl Plońsk, sah zum ersten Mal in seinem Leben Araber. Sie machten »einen sehr guten Eindruck« auf ihn, schrieb Gruen seinem Vater. Er schilderte sie als »große Kinder, gutherzig und leicht zugänglich«. Einige Zeit später nahm Gruen einen hebräischen Namen an – Ben-Gurion.
Den Blick, mit dem Gruen auf die ersten Araber herabschaute, nannte der amerikanische Gelehrte palästinensischer Abstammung Edward Said später »orientalistisch«; er meinte damit die Herablassung, die der Westen häufig Menschen aus dem Morgenland entgegenbringt. Said sah darin eine Erklärung für vieles, was in den letzten hundert Jahren im Nahen Osten schiefging, den israelisch-arabischen Konflikt inbegriffen.
Schon eine ganze Zeit vor Ben-Gurion, nämlich 1891, hatte ein jüdischer Schriftsteller aus Odessa, Ascher Ginzberg, der als Achad Haam bekannt wurde, das Land besucht. Er traf jüdische Siedler aus Osteuropa und war entsetzt, wie diese mit der arabischen Bevölkerung umsprangen: »Sie
behandeln die Araber feindselig und grausam, verkürzen ihr Recht auf unredliche Weise, beleidigen sie ohne jeden genügenden Grund und rühmen sich solcher Taten noch«, schrieb er.
Theodor Herzl, der Begründer des politischen Zionismus, kämpfte damals dafür, einen Judenstaat im Land Israel zu errichten. Für die dort lebenden Palästinenser interessierte er sich herzlich wenig. Am besten sorge man dafür, dass sie auswanderten, notierte er in seinem Tagebuch. Die Zionisten mühten sich hingegen redlich, die Welt davon zu überzeugen, dass Juden und Araber doch zusammenleben könnten. Eine Masseneinwanderung europäischer Juden könne das Land sogar florieren lassen und die Wirtschaft ankurbeln, zum Wohl all seiner Bewohner.
Doch der »Orientalismus«, den Said später auch im europäischen Kolonialismus diagnostizierte, brach immer wieder durch. Der führende Zionist Chaim Weizmann, später Israels erster Staatspräsident, versicherte zwar: »Wir streben nicht danach, Mohammed zu vertreiben und
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