Die neue arabische Welt
anfangs als geradezu göttliche Gabe für ein glaubensfestes Leben begrüßt, verdarb die Sitten der vom Wandel überforderten Stammesgesellschaft. Vor allem König Saud, der 1953 seinem Vater Ibn Saud auf den Thron gefolgt war, wurde zum Inbegriff der Dekadenz, wenn er bei »Kuraufenthalten« im Westen Millionen verschwendete. Auch auf Druck der Religiösen musste er 1964 den Thron räumen.
Mit ihrer Bigotterie erzürnten die Al Saud nicht nur die Religionsgelehrten, die ihnen mit einem Ende der Loyalität drohten. Das Herrscherhaus rückte sich damit auch selbst ins Fadenkreuz der gewaltbereiten Extremisten. 1979, wohl auch inspiriert durch die Revolution in Iran, überfielen einige Hundert Extremisten die große Moschee in Mekka. Zwei Wochen lang hielten sie den heiligsten Ort des Islam besetzt. Um das Geiseldrama zu beenden, mussten die Al Saud französische Elitetruppen ins Land rufen.
Als könnten sie die Schmach darüber vergessen machen, finanzierten die Al Saud mit Millionen Petrodollars den Widerstand der Taliban gegen die »gottlosen« Sowjets, die wenige Wochen später Afghanistan besetzt hatten. Für seinen Kampf am Hindukusch wurde Osama Bin Laden in seiner Heimat gefeiert. Der Geheimdienstchef des Königshauses, Prinz Turki al-Faisal, unterhielt lange Beziehungen zu dem späteren Qaida-Gründer und dessen afghanischen Waffenbrüdern.
Gleichsam als Ablasszahlung an die Religionsgelehrten förderten Sauds Nachfolger Faisal (der Sparsame), Chalid
(der Farblose), Fahd (der Konservative) und der seit 2005 amtierende König Abdullah (der Aufgeschlossene) fundamentalistische Strömungen weltweit. Die Al Saud als selbsternannte Speerspitze der Islamisierung pumpten ihr Geld in Stiftungen, bezahlten den Bau von Moscheen, ob auf dem Balkan, in Usbekistan oder auch Pakistan. Wo sie es können, stellen sie auch die Imame oder sorgen mit Zuwendungen dafür, dass im Sinne Bin Abd al-Wahhabs gepredigt wird.
Den offenen Unmut auch der Islamgelehrten nährte die Herrscherfamilie 1991 im Golfkrieg um Kuwait. Weil die hochgerüsteten Scheichs vor dem irakischen Aggressor Saddam Hussein zitterten, ließen sie 200 000 US-Soldaten – und Soldatinnen – auf saudi-arabischen Boden. Ein Affront für die Glaubenswächter, die den Frauen bis heute das Autofahren verbieten. Die »Hüter der heiligen Stätten von Mekka und Medina«, wie sich die Al Saud seit 1986 nennen, hatten für manche damit endgültig ihre Legitimation verwirkt. Aus Afghanistan forderte Osama Bin Laden den Sturz der Al Saud.
Wie tief sich die Extremisten – mit klammheimlicher Billigung wahhabitischer Prediger – schon in die Gesellschaft hineingefressen hatten, zeigte wenige Jahre später eine ganze Serie von Anschlägen. Die Sprengstoffattentate 1995 und 1996 auf amerikanische Militäreinrichtungen in Riad und Chubar sollten die US-Soldaten wieder vom heiligen Boden vertreiben – den sie 2003 dann auch fast ausnahmslos verließen. Das eigentliche Ziel der Anschläge waren die Al Saud. »Allah mag keine Prinzen«, hatten die Extremisten auf Flugblättern verkündet.
Nur zögerlich entschloss sich das Königshaus, hart durchzugreifen, auch gegen Prediger, die den Extremismus befeuert hatten: Militante Fundamentalisten wurden
bei der Festnahme erschossen, andere hingerichtet, viele nach sogenannten Umerziehungsprogrammen wieder in ihre Familien entlassen. Die Terrorfront scheint befriedet, zumindest blieben weitere schwere Anschläge aus. Offiziell murren auch die Theologen nicht mehr. Die Nachfahren Bin Abd al-Wahhabs haben erkannt, dass sie mit den Al Saud auf Gedeih und Verderb im Bunde sind.
Der eigentliche Sprengsatz ist die Jugend des Landes. Mehr als die Hälfte der 26 Millionen Saudi-Araber sind unter 25 Jahren, der Frust über Nepotismus und Perspektivlosigkeit ist enorm. Zur Entschärfung dieser Sozialbombe setzt König Abdullah auf ein altbewährtes Mittel: Geld. Erst im Februar 2011 versprach er ein Wohlfahrtspaket im Wert von 26 Milliarden Euro – und verhängte ein striktes Versammlungsverbot. Kommunalwahlen sollen der männlichen Bevölkerung einen Hauch von Partizipation vorgaukeln. Frauen haben im Königreich keine Stimme, erst seit 2001 dürfen sie eigene Personalausweise haben. Gemäß der Scharia, der islamischen Rechts- und Lebensordnung, herrscht strenge Geschlechtertrennung. Der Koran und die Hadithe, die Überlieferungen zum Leben des Propheten, haben Verfassungsrang.
Doch werden Abdullahs Untertanen finanzielle
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