Die neue arabische Welt
Abd al-Wahhab die Rückkehr zur »ursprünglichen Strenge« des Islam, wie sie gut 1000 Jahre zuvor der Prophet Mohammed vorgelebt habe. Bin Abd al-Wahhab verpönte Musik (von Trommeln abgesehen), verurteilte Alkoholgenuss, lehnte seidene Kleidung ab und duldete weder Gebetsketten noch Verzierungen an Moscheen. Muslime, die seinen eisernen Interpretationen nicht folgten, erklärte er zu »Ungläubigen«. Schiiten, die vor allem im heutigen Irak und in Iran die Mehrheit der Bevölkerung stellen, waren für ihn eher Apostaten als Glaubensbrüder.
Bin Saud bot dem Vertriebenen Zuflucht an, und schon bald ergänzten sich das Sendungsbewusstsein des selbsternannten Erneuerers und der Machtwille des Wüstenfürsten: Die puritanische Lehre lieferte Bin Saud das ideologische Rüstzeug und die Legitimation für seine Feldzüge. Im Namen des wahren Islam begann eine einzigartige Landnahme. Ein halbes Jahrhundert nach dem Treueschwur beherrschte Bin Sauds Sohn das Hochland des Nadschd und den Osten der Arabischen Halbinsel. Erst 1924 eroberten die saudischen Heere auch Mekka und Medina. Die heiligen Stätten hatten zuvor unter dem Schutz der Haschemiten gestanden, deren Nachfahre Abdullah II. heute König von Jordanien ist. Damit herrschten die saudischen Imame, wie sich die Regenten nannten, fast über die gesamte Arabische Halbinsel.
Ihr strenger Glaube aber war in der islamischen Welt zum Synonym für Fanatismus geworden. Seit ihre Reiterscharen 1802 in der den Schiiten heiligen Stadt Kerbela (im heutigen Irak) über 2000 Männer, Frauen und Kinder getötet hatten, galten Bin Abd al-Wahhabs Anhänger als eine Art religiöse Terroristen.
Im Westen rückte die historische Bindung zwischen Glaubenseifer und Gewaltbereitschaft erst nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit. 15 der insgesamt 19 Selbstmordattentäter stammten aus dem Königreich, der getötete Qaida-Chef Osama Bin Laden war Sohn einer schwerreichen Unternehmerfamilie jemenitischer Herkunft in Dschidda, die beim saudischen Königshaus auch heute noch in der Gunst steht. Mit Blick auf das bedrohliche Bündnis prägte der US-Politologe Francis Fukuyama den Begriff vom »Islamo-Faschismus«.
Das Verhältnis zwischen Herrscherhaus und Glaubensführern war aber durchaus von Spannungen gezeichnet.
Erste Bruchlinien hatten sich schon Mitte des 19. Jahrhunderts unter Faisal Al Saud abgezeichnet. Der Herrscher und Imam ging aus kühlem Pragmatismus auf Distanz zu den Salafisten, den Altvorderen, wie sie sich nach ihrer Ausrichtung an den Vorfahren nannten. Faisal wollte sein Reich nicht durch einen ungezügelten Dschihad gefährden, den »heiligen Krieg« gegen Nicht-Wahhabiten.
Die eigentliche Zerreißprobe begann fast 100 Jahre später. Durch geschicktes Taktieren konnte Abd al-Asis Al Saud, genannt Ibn Saud, 1932 das Königreich proklamieren. Er erklärte die Wahhabija zur Staatsreligion. Die Erben des Predigers waren auf dem Höhepunkt ihres Einflusses, als mit der Entdeckung der weltweit größten Erdölvorräte (knapp 20 Prozent) die Moderne über das weitgehend abgeschottete Wüstenreich hereinbrach. Nun erst rückte Riad ins Blickfeld der Weltöffentlichkeit. Und in den Augen vieler Eiferer begann damals der moralische Verfall. Denn mit dem Verkauf der ersten Bohrrechte 1933 an die Standard Oil of California kamen amerikanische Ingenieure und andere Fremde aus dem Westen ins Land: Ungläubige, auf Einladung des Herrscherhauses.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs spülte das Ölgeschäft bereits viele Millionen Dollar in die Staatskasse. Nahezu zeitgleich entwickelten sich die besonderen Beziehungen zu den USA. Die Amerikaner errichteten einen ersten Militärstützpunkt in Dhahran, dem Zentrum des Fördergebiets. Die Erben der Imame stiegen zu globalen Playern im Energie-Poker auf.
Für die Al Saud begann ein Spagat, der die Herrscherfamilie, ja sogar das ganze Land noch zerreißen könnte: Auf der einen Seite müssen sie die erzkonservativen Religionsgelehrten zufriedenstellen, die jede Annäherung an den Westen verteufeln; andererseits ist das königliche
Regime auf die USA als Schutzmacht angewiesen, obgleich es selbst aufrüstete. In gut 50 Jahren schloss Washingtons Waffenlobby mit den Scheichs Deals für Panzer, Raketen und Bomber im Wert von über 100 Milliarden Dollar.
So sehr das Königshaus nach außen glänzte, im Inneren grassierte die saudische Krankheit: Das »schwarze Gold«, von vielen
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