Die neue arabische Welt
Aden. Aber vor allem an der Peripherie verfiel die Autorität des Sultans unaufhaltsam.
Zu Beginn des Ersten Weltkriegs stand der Großteil der arabischen Provinzen des Osmanischen Reiches unter dem Einfluss der Briten oder Franzosen. Die Osmanen hofften, sie abschütteln zu können, indem sie auf Seiten Deutschlands und Österreich-Ungarns in den Krieg eintraten und den Dschihad gegen die Kolonialmächte ausriefen.
Der Sultan von Konstantinopel war zugleich Kalif und damit Oberhaupt der Muslime. Die Briten befürchteten, dass die muslimischen Araber ihre türkischen Glaubensbrüder
unterstützen würden. Deshalb schrieb der inzwischen zum Lord geadelte und zum Kriegsminister avancierte Herbert Kitchener an Hussein Bin Ali, den Emir der heiligen Stadt Mekka, und stellte ihm in Aussicht, nach dem Ende des Krieges ein eigenes arabisches Kalifat zu errichten. Hussein versprach stillzuhalten.
Denn die Beziehungen zwischen Osmanen und Arabern waren gespannt, seit hohe Offiziere und Beamte, die sich »Komitee für Einheit und Fortschritt« oder »Jungtürken« nannten, 1908 in Konstantinopel die Macht ergriffen hatten. Sie wollten das Reich modernisieren, aber auch durch stärkere Zentralisierung stabilisieren. Überall im Reich, auch in den arabischen Regionen, besetzten sie entscheidende Positionen mit Türken. Dagegen lehnte sich eine nationalistische arabische Autonomiebewegung auf, die von den Europäern bereitwillig unterstützt wurde. Tatsächlich »strömten die Araber im Namen des arabischen Nationalismus massenweise ins Lager der Alliierten, um sich gegen die muslimische Großmacht der damaligen Zeit zu verbünden«, beschreibt der französische Politologe und Islam-Experte Olivier Roy die Fronten.
Zu ihrer Überraschung erhielt die britische Residentur in Kairo im Sommer 1915 einen Brief von Emir Hussein, dem Scherifen von Mekka, in dem er forderte, fast der gesamte asiatische Teil Arabiens solle ein Königreich unter seiner Führung werden. Was Hussein nicht verriet: Er hatte inzwischen erfahren, dass ihn die Hohe Pforte absetzen wollte. Henry McMahon, der britische Hochkommissar in Ägypten, antwortete schließlich, dass Großbritannien bereit sei, »die Unabhängigkeit der Araber in den Gebieten anzuerkennen, deren Grenzen der Scherif vorgeschlagen hat«. Der haschemitische Emir verließ sich auf die vage Zusage und rief seine Stämme zum Aufstand gegen die Türken auf.
Der britische Verbindungsoffizier Thomas Edward Lawrence im Beduinengewand (um 1917)
Als Verbindungsoffizier zu Hussein wurde der 28-jährige Archäologe und Historiker Thomas Edward Lawrence ernannt, der im »Arabischen Büro« der Briten in Kairo, einer Abteilung des britischen Geheimdienstes, arbeitete. Der Arabisch sprechende Waliser, der sein Studium in Oxford mit einer Arbeit über den »Einfluss der Kreuzzüge auf die mittelalterliche Militärarchitektur Europas« abgeschlossen hatte, war danach an Ausgrabungen in der Hethitermetropole Karkemisch am Euphrat beteiligt gewesen. Weil in der Nähe deutsche Unternehmen im Verbund mit den Osmanen an der Strecke der »Bagdadbahn« von Konstantinopel über Konya nach Bagdad bauten, kam das Gerücht auf, Lawrence habe deutsche Ingenieurleistungen ausspioniert.
Im Juni 1916 sollte die große arabische Revolte gegen die Osmanen beginnen. Sie werde, hatte Lawrence im Januar in einem Geheimdienstpapier geschrieben, »uns von Nutzen sein, weil sie unserem unmittelbaren Ziele dient, den islamischen ›Block‹ aufzulösen und das Osmanische Reich zu besiegen«.
Als es dann so weit war, gab Lawrence eine realistische Einschätzung über Husseins Truppen ab. In offener Feldschlacht, notierte er in einem Bericht, könne »eine einzige türkische Kompanie die Armeen des Scherifen besiegen«. Die Stärke der Beduinen liege im Guerillakrieg, und es sei wohl »unmöglich, aus ihnen eine organisierte Streitmacht zu formen«.
Im Herbst 1916 reiste Lawrence zu Hussein und bestimmte dessen Sohn Faisal zum Anführer der arabischen Kämpfer. Sie verlegten sich, wie von Lawrence empfohlen, auf Anschläge aus dem Hinterhalt und auf Sabotageaktionen. Sie sprengten etwa Gleise und Brücken der Hedschasbahn, die als Erweiterung der Bagdadbahn über Damaskus und
Amman nach Medina gebaut worden war. Mit List überrumpelten sie ihre Gegner. So stürmten 2000 arabische Kamelreiter nach wildem Ritt durch die Wüste am 6. Juli 1917 Akaba, den letzten Seestützpunkt des Osmanischen Reiches am Roten Meer – die
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