Die neue arabische Welt
und Aleppo kommunizieren längst über die Grenzen hinweg, welche von den Briten und Franzosen gezogen und von den Autokraten nachher so eifersüchtig bewacht wurden. Das bringt das Werkzeug ihrer Bewegung zwangsläufig mit sich: Twitter, Facebook und SMS-Nachrichten kennen keine geografischen Grenzen – und die kulturellen, über Jahrhunderte gewachsenen, scheinen sich allmählich aufzulösen: Für das Wort »geradeaus« hat sich in der panarabischen SMS-Sprache, welche die im lateinischen Alphabet nicht darstellbaren Laute des Arabischen mit Zahlen wiedergibt, ein ägyptischer Ausdruck durchgesetzt: » 3ALA TOOL«.
Nach dem Sturz von Saddam Hussein im April 2003 besuchte ich Alaa, den »Murafik«, den Aufpasser, den mir
das Regime seinerzeit an die Seite gestellt hatte, zum ersten Mal zu Hause. Er hatte sich wie die meisten Iraker nach dem Ende der Zensur einen Stapel zuvor verbotener Filme besorgt, und als ich seine Wohnung betrat, lief dort eine Komödie mit dem Titel »al-Saïm«, »Der Führer«.
Ungläubig und befreit lachend saßen Alaa, seine Brüder, sein Vater und seine Mutter vor dem Fernseher und sahen sich diese Satire auf den arabischen Personenkult an. »Al-Saïm« persifliert den zackigen Auftritt und das pompöse Gehabe eines Mannes, in dem die Tunesier auf Anhieb Zine el-Abidine Ben Ali, die Ägypter Mubarak, die Libyer Muammar al-Gaddafi und die Iraker Saddam Hussein erkannten: seine schillernden Uniformen, seine wechselnden Launen, seine katzbuckelnden Hofschranzen – und seine lächerliche Berufung auf die vermeintliche Revolution, die ihn einst an die Macht brachte. »Wozu haben wir damals eigentlich eine Revolution gemacht?«, fragt im Film einer der Untergebenen den Führer. »Ich kann mich nicht mehr erinnern«, antwortet der. »Ich war auf dem Klo.«
So harmlos die Satire auf den westlichen Betrachter wirken mochte – bei den Irakern löste sie kathartische Wonne aus. Sie rechnete ab mit einem Herrschaftssystem, gegen das sich die Nordafrikaner, die Syrer und Jemeniten acht Jahre später erheben sollten: das als »Sozialistische« oder »Arabische Republik«, gar als »Volksmassenstaat« getarnte Regime, an dessen Spitze ein korrupter Despot stand, der sich nur mit Hilfe der Geheimpolizei an der Macht hielt.
Es waren diese Regime, welche die Entstehung eines bürgerlichen Selbstbewusstseins, einer Zivilgesellschaft jahrzehntelang unterdrückten. Es war der arabische Polizei- und Folterstaat, der die Bildung einer säkularen Opposition verhinderte und Zehntausende von Unzufriedenen dem militanten Islamismus zutrieb – weil die Moschee,
ähnlich wie in den einstigen kommunistischen Diktaturen die Kirche, den einzigen Freiraum für Dissens bot.
Eines allerdings übersahen viele im Westen, welche diese zwar undemokratischen, aber vermeintlich stabilen Systeme einer Machtübernahme der Islamisten vorzogen: Sie waren nicht mehr stabil. Die meisten dieser Regime waren innen hohl und ihre Parteiapparate vielfach nur mehr Patronage-Netzwerke, die der ungerechten Verteilung der bescheidenen Staatseinkünfte zu ihren eigenen Gunsten dienten. Nun lösen sich politische, gar ideologische Loyalitäten.
Das galt auch im Irak, dem brutalsten der arabischen Regime. So klar er die Gefahr des islamistischen Extremismus erkannte, die seinem Land drohte – Alaa, der Aufpasser, hatte mir schon vor dem Irak-Krieg angedeutet, dass er und seine Kollegen, alles scheinbar treue Mitglieder der sozialistischen Baath-Partei, hofften, Saddam möge auf den Vorschlag des Scheichs von Abu Dhabi hören und ins Exil gehen.
Dass die arabische Welt auch auf einem anderen Feld in Bewegung geraten war, erfuhr ich im Frühjahr 2006. Ich war gerade aus dem Irak zurückgekehrt, wo der Konfessionskrieg zwischen Sunniten und Schiiten kurz vor seinem Höhepunkt stand: Mitunter kamen dort im Monat 3000 Menschen ums Leben. Nun saß ich am Schreibtisch von Abdullah al-Mulla, dem jungen Chef der »Dubai Media City«, um mich als Korrespondent zu akkreditieren. Mulla, in eine weiße, akkurat gebügelte Dischdascha gekleidet, stets in Eile, zählte mir die Dokumente auf, die ich ihm vorlegen sollte, und blätterte in seinem Kalender, um einen passenden Termin zu suchen.
»Dienstag, den 11. April«, sagte er, »hätte ich noch Zeit.« Seine Assistentin unterbrach ihn: »Dienstag ist aber der
Geburtstag des Propheten.« Mulla stutzte. »Prophetengeburtstag? Haben wir den nicht verschoben?«
Es war eine beiläufige Bemerkung, die
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