Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt
für ein Erzähler, der das Ende an den Anfang setzt? Und ich antworte: Urteilt nicht über Dinge, von denen Ihr nichts versteht! Glaubt Ihr, ich will auf der Streckbank enden? Die Geschichte, die nun folgt (und alle anderen, die ich Euch später berichten will) ist voll von Mord und Blutvergießen, von Untaten und Blasphemie, von Verbrechen wider der Menschlichkeit – und der ein oder anderen hübschen Maid. All das gut vermengt zu einem Garn, wie man es nur noch selten findet. Und letzteres hat seinen Grund, denn Kirche und Obrigkeit sehen es nicht gern, wenn man von ihren Übeln erzählt – es sei denn, die Geschichte hat eine solide Moral. Und eine Moral sollen sie bekommen, die feisten Pfaffen und Klunkerjunker.
Kurzum: Faustens Tod (mögen seine Umstände der Wahrheit entsprechen oder nicht) gehört dazu, sonst bekämt Ihr den Rest nicht zu lesen. Und um sicherzugehen, daß all die tumben Kirchensklaven und Königstreuen diese Moral auch verstehen, steht sie gleich am Anfang:
Wer mit dem Teufel paktiert, den holt derselbe!
Das klingt nicht schön und läßt auch an Weisheit zu wünschen übrig, doch muß es wohl sein. Bitteschön, ihr hohen Herrn und edlen Damen, eure Moral! Auf daß sie euch zum Gefallen reiche!
Womit wir uns dieser Pflicht entledigt hätten und uns den wahren Weiten meiner Geschichte zuwenden können. Wie gesagt, es geht um Mord und um Weiber und um ein böses Geheimnis – aber das merkt Ihr selbst noch früh genug.
Ihr seht, ich bin vorsichtig. Ich habe zuviele in den Folterkammern brüllen hören, habe zuviele gesehen, die ihr Leben auf Rad und Scheiterhaufen ließen. Oft genug schmorte ich selbst im Kerker und erfuhr die zweifelhaften Freuden des Prangers. (Habt Ihr je den Inhalt eines Nachttopfs im Gesicht gespürt? Dabei lernt Ihr das Alltägliche des Leben von einer völlig neuen Seite kennen.) Ich habe jetzt ein schönes Alter erreicht, und sterben will ich nur noch im Bett, nicht vor den Augen des geifernden Pöbels.
Mit einem Mann auf dem Scheiterhaufen beginnt auch diese Geschichte. Und auch verbrannt wird jemand gleich zu Anfang.
Ein und derselbe, sollte man meinen.
Weit gefehlt.
Kapitel 1
Der Scheiterhaufen stand bereit, und bereit war auch Faustus. Der Strick, mit dem ihn der Henkersknecht an den Pfahl fesselte, war mit Wasser getränkt, damit er in der Hitze nicht nachgab. Faustus spürte, wie die Feuchtigkeit aus dem Hanf durch seine Kleidung drang. Angesichts der Umstände war ihm die kühle Nässe nicht unangenehm; nicht mehr lange, und sie würde samt seiner selbst zu Rauch verdampfen.
Der Pfahl ragte aus einem hölzernen Podest, das man in der Mitte des Platzes errichtet hatte. An die dreihundert Menschen hatten sich an jenem Pfingstmontag des Jahres 1515 vor dem Wittenberger Schloß versammelt, um der Hinrichtung beizuwohnen. Die Aufregung war groß. Landsknechte hielten die Männer und Frauen im Zaum. Hier und da schlüpften Kinder zwischen den Beinen und Hellebarden der Soldaten hindurch und tanzten frech vor ihnen umher, bis einer sie einfing und zurück zu den fluchenden Eltern brachte. Händler boten getrocknetes Obst und süßes Backwerk feil. Ein Wirt hatte ein Bierfaß herangerollt; der Andrang übertraf seine Erwartung bei weitem, und so schickte er seinen Knecht, ein zweites Faß zu holen.
Verbrennungen im Auftrag der Heiligen Inquisition waren keine Seltenheit, doch Faustus galt als Berühmtheit, als Schwarzkünstler von Rang, und keiner wollte sein Ende missen. Nicht, weil man ihn derart verabscheute, keineswegs; die Menschen wären in gleicher Zahl herbeigeströmt, hätte Faustus ihnen eine Kostprobe seiner Zauberkünste versprochen. Man wollte unterhalten werden, ganz gleich um welchen Preis. Ob durch falschen oder Feuerzauber war nicht wichtig. Allein das Spektakel zählte. Die Menge war nicht wählerisch.
Freilich war die frohe Stimmung nicht allein der Ausdruck guter Laune. Vielmehr mochte manch einer fröhlicher scheinen, als ihm in Wahrheit zumute war. Wer Mitleid mit einem Häretiker zeigte, lief Gefahr, selbst als nächster in den Flammen zu sterben. Der Pöbel war durchsetzt von Spionen und Spitzeln. Die Ohren der Inquisition waren allgegenwärtig, und ihre Augen lauerten auf Zeichen des Verrats.
»Doktor Johannes Faustus«, rief eine Stimme über den Schloßplatz hinweg, und schlagartig verstummte die Menge. Die Ausgelassenheit wich angespannter Erwartung. Manch einer mochte frösteln, einem anderen das Herz ein wenig schneller
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