Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater
»Gerade erst. Weißt du, was dort vorgeht?«
Sie musterte uns mit einem Mal mißtrauisch, wobei ihr Blick einen Moment zu lange auf Angelinas Verbrennungen ruhte. Es war fast, als bemerkte sie die Wunden jetzt zum ersten Mal.
»Ich weiß wenig«, sagte Gwen schließlich, »aber offenbar mehr als ihr. Delphine hat eingesehen, daß sie mich nur vom Haus fernhalten kann, wenn sie mir zumindest einen Teil der Hintergründe verrät.«
An ihr sollte Faustus sich ein Beispiel nehmen, dachte ich, erwiderte aber nichts.
»Ihr seid vollkommen ahnungslos, was?« fragte sie.
Angelina überließ es mir, Gwens Worten zuzustimmen. Sie schien sich diese Blöße nicht geben zu wollen. Ich war verblüfft, wieviel mädchenhafter Trotz noch unter ihrer Maske der Kämpferin schwelte. Vom gefühllosen Borgia-Engel wandelte sie sich allmählich zur Frau.
Gwen schien Angelinas Ablehnung durchaus zu bemerken, deshalb wandte sie sich fortan nur noch an mich. »Was willst du wissen?« fragte sie.
»Fang einfach vorne an.«
Sie seufzte und setzte sich auf dem Boden unserer Kammer zurecht. »Sagt dir der Begriff Chymische Hochzeit etwas?«
Ich tat, als überlegte ich, und schüttelte dann den Kopf.
»Chymische Hochzeit ist ein Begriff aus der Alchimie«, erklärte sie. »Er bezeichnet die Vereinigung polarer Gegensätze. Mit anderen Worten: Gegenstände, Stoffe oder auch Personen werden zusammengefügt, die unterschiedlicher Natur sind.«
»Die Unterschiede waren nicht zu übersehen«, bemerkte ich.
Gwen kicherte, als hätte ich einen großartigen Spaß gemacht. »Das dachte ich mir«, sagte sie. »Delphine schien auch wenig an diesem Treffen gelegen. Mir war, als ahnte sie bereits, was sie hier erwartet. Sie hat auch von deinem Meister gesprochen.«
»Viel Gutes, nehme ich an.«
Sie kicherte wieder, dann wurde sie ernst. »Wenn ihr sie belauscht habt, hast du sicher bemerkt, daß sie sich alle kennen. Und das schon seit Jahren. Ihre Bekanntschaft war keinesfalls freiwillig, wie du dir denken kannst. Was sie miteinander verbindet, ist ihr Streben nach Wissen, nach der Macht über die Träume.«
Sie muß mir meine Verblüffung angesehen haben, denn sie fügte sogleich hinzu: »Dein Meister hat dir wohl nie vom Traumvater erzählt.«
Eine Antwort darauf war überflüssig.
»Der Traumvater war ein Weiser aus Ägypten«, erklärte Gwen. »Vor Jahren zog er durch die Welt und lehrte seine Schüler, ihre Träume zu beherrschen. Mit seiner Hilfe gelang es ihnen, ihre Traumbilder zu deuten, zu steuern, und das zu träumen, was sie sich wünschten. Unsere Meister gingen ebenso bei ihm in die Lehre wie die übrigen Männer und Frauen, die sich im Schloß versammelt haben. Wie sie und viele, viele andere – nur daß die meisten ihre Lehrzeit nicht zum Abschluß brachten. Der Traumvater zerstörte ihren Geist, er zerfleischte ihre Seele und weidete ihre Gedanken aus. Nur wenigen ist es gelungen, ihm zu widerstehen. Jene, die es schafften, habt ihr eben gesehen.«
All das klang völlig unglaublich. Und doch war ich geneigt, ihr zu vertrauen. Irgendwann einmal mußte auch Faustus ein Schüler gewesen sein, der erst langsam die wahre Tiefe seines Talents entdeckt hatte. Und weshalb hätte sein Meister nicht ein Wesen sein sollen, das sich Traumvater nannte? Je wirrer die Geschichte und phantastischer die Einzelheiten, desto eher mochte ich sie glauben. Sie paßte zu einem wie Faustus.
Ich sah Angelina an, doch ihr erstarrtes Gesicht verriet nicht, was sie dachte. Ihre Augen musterten Gwen und schienen sich jeden Zug ihres Äußeren und jedes ihrer Worte einzuprägen.
»Wie konnte der Traumvater solche Macht über die Menschen erlangen?« fragte ich.
Gwen zuckte mit den Schultern. »Er pflanzte Träume in ihre Köpfe wie Steckrüben. Wenn sie anschlugen, mochten wunderbare Visionen daraus sprießen, aber auch der schwärzeste Alpdruck. Delphine sagt, unsere Träume bestimmen einen jeden von uns viel mehr, als wir selbst es ahnen. Der Traumvater hat sich das zunutze gemacht.«
»Und diese sieben, drüben im Schloß, sind die einzigen, die die Lehrzeit bei ihm überstanden haben?« Bei der Erinnerung an einige der merkwürdigen Gestalten schien mir dies mehr als unwahrscheinlich.
Doch Gwen nickte. »Ja, innerhalb der Grenzen des Reichs. Sie sind selbst von Schülern zu Meistern ihrer Träume geworden.«
»Du meinst, Faustus kann mir des Nachts Träume eingeben, ohne daß ich es weiß oder etwas dagegen tun kann?« Die Vorstellung
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