Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater
Traumvater ausgibt«, sagte ich. »Vorausgesetzt, er ist tot.«
»Ich denke, das werden unsere Meister bald erfahren.«
»Du scheinst dir keine Sorgen um sie zu machen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Delphine kennt die Zukunft. Sie wird ihre Vorbereitungen treffen, um sich zu schützen.« Trotz dieser Worte wirkte ihre Überzeugung gespielt. Gwen war besorgt, mochte sie es auch noch so laut abstreiten.
»Was macht deine Herrin so sicher, daß der Traumvater seinen Schülern Böses will?« fragte ich.
»Der Haken ist, daß sie nicht mehr seine Schüler sind. Sie waren es, doch damit ist es vorbei. Jeder, der die Schule des Traumvaters beendet hat, ist entweder tot, wahnsinnig – oder er hat seine Prüfung bestanden. Diese sieben, die es geschafft haben, haben wie jeder, der bei ihm in die Lehre gegangen ist, einen Pakt mit ihm geschlossen: Scheitern sie, nimmt er ihnen jeden ihrer Träume, er saugt sie leer, und das übersteht kein normaler Mensch; die meisten sterben, der Rest verliert den Verstand. Jene wenigen aber, denen es gelingt, die Prüfungen des Traumvaters zu meistern, zahlen kein Lehrgeld. Sie dürfen ihn unbeschadet verlassen und einen Großteil seines Wissens mit sich nehmen. So lautet die Abmachung.«
»Und was bedeutet das?« fragte ich, denn mir war unklar, worauf sie hinaus wollte.
»Das bedeutet, daß es nur zwei Gründe geben kann, weshalb der Traumvater seine Schüler hier versammelt hat. Der eine ist, daß er es nicht verwunden hat, daß sie seiner Macht standhalten konnten. Er will nachträglich sein Lehrgeld einfordern.«
»Dann geht es ihm nur um schnöden Reichtum?«
Gwen lächelte nachsichtig. »Nicht im Sinne von Münzen. Er will ihre Träume. Nirgendwo kann er so ausgereifte, so vollendete Träume finden wie in den Köpfen dieser sieben Menschen, ganz gleich, wie sie von außen erscheinen mögen. Sie haben jahrelang Zeit gehabt, ihre Traumwelt unter ihre Macht zu zwingen. Vielleicht will er die Früchte dieser Saat nun ernten.«
So wirklichkeitsfremd sie klingen mochten, innerhalb der ihnen eigenen Logik ergaben Gwens Argumente einen vollkommenen Sinn.
»Was ist der andere Grund?« fragte ich. »Du sprachst von zwei Möglichkeiten.«
Sie atmete tief durch, während Angelina neben mir unruhig hin und her rutschte. »Der zweite Grund«, sagte Gwen, »ist der, daß der Traumvater alt und krank und hilflos ist. Möglicherweise sucht er einen Nachfolger.«
»Einen Nachfolger?«
»Ja. Vielleicht hat er seine besten Schüler zusammengerufen, um einen von ihnen auszuwählen und in die allerletzten Geheimnisse der Traumlehre einzuweihen – jene zur Beherrschung der Träume anderer Menschen, nicht nur der eigenen.«
»Wenn der Traumvater einen der sieben auswählt, werden die übrigen sich das kaum bieten lassen.«
»Delphine glaubt, daß es dazu nicht kommen wird. Sie sagt, der Traumvater wird die sechs anderen töten.«
Ich schauderte. Wenn die Wahrsagerin recht behielt, bedeutete das, daß es nur zwei Folgen dieser Zusammenkunft geben konnte: Entweder starben nur sechs der Anwesenden oder alle sieben. Keine erfreuliche Aussicht.
Angelina stieß mich an, und ich verstand, was sie meinte. Eine Frage gab es noch, die offen blieb:
»Wenn auf jeden der sieben hier der Tod warten kann, warum hatten sie es dann so eilig, dem Wunsch des Traumvaters Folge zu leisten?«
Gwen zögerte. »Ich bin nicht sicher, ob ich euch das sagen sollte.«
Angelina wollte wutentbrannt auffahren, doch ich hielt sie mit einer Handbewegung zurück. »Was hättest du schon zu verlieren?«
Gwen lächelte scheu, doch es war kein Zeichen von Belustigung, nur von Unsicherheit. »Einen der wertvollsten Schätze der Welt.«
Ich starrte sie ungläubig an. Vielleicht führte sie uns doch an der Nase herum. »Wie meinst du das?«
»Der Traumvater hat jedem seiner Schüler den siebten Teil eines unermeßlichen Schatzes versprochen. Und wenn es einen einzigen Wesenszug gibt, der allen gemeinsam ist, so muß das wohl ihre Freude am Reichtum sein. Denn schließlich sind sie alle gekommen, trotz der Gefahr.«
»Und was für ein Schatz soll das sein?«
Gwen erhob sich vom Boden und trat eilig ans Fenster. Ihr Blick richtete sich in die Nacht, hinüber zum Haupthaus der Schloßruine. Dann drehte sie sich langsam um und sah uns nachdenklich an. Ihr Lächeln wirkte gekünstelt, als glaubte sie selbst nicht an ihre eigenen Worte.
»Die Krone des Schlangenkönigs«, sagte sie schließlich.
Kapitel 3
Ich wußte, was
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