Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater
Menschenjagd ging?
Insgesamt blieben also vier Verdächtige: Walpurga, Bosch, Braumeister und Gwen. Ich war stolz darauf, wie eng ich den Kreis der Verdächtigen eingegrenzt hatte, so lange, bis ich begriff, daß dies eigentlich der Mörder für mich getan hatte. Schließlich war er es, der einen Unschuldigen nach dem anderen beseitigte.
(Natürlich kommen Euch, spitzfindiger Leser, schon wieder neue Zweifel: Wie soll sich dieser Wagner, jung und höchst unerfahren in solcherlei Mordgeschäften, in einem einzigen Augenblick, festgefroren innerhalb des Streits zwischen Walpurga und Nicholas, all diese Theorien zurechtgelegt haben? Die Antwort ist einfach: Hat er nicht. Vieles von dem, was Ihr eben gelesen habt, kam mir erst später in den Sinn und fügte sich nahtlos ins Ganze. Den Anstoß aber gab zweifellos die List meines Meisters, den wirren Nicholas zu beschwichtigen, so daß mir dies ein guter Moment schien, Euch meine Gedanken offenzulegen. Und gebt zu, soweit Ihr meine Thesen begriffen habt, klingen sie nicht dumm, nicht wahr?)
Nicholas war noch immer tief in Gedanken versunken. Faustus näherte sich ihm langsam, Schritt um Schritt, als plötzlich etwas geschah, das all die klugen Pläne meines Meisters zunichte machte.
Die Katze stieß ein gräßliches Maunzen aus, löste ihre Krallen von Walpurgas Schulter und sprang Nicholas fauchend ins Genick.
Der Musiker schrie auf und riß die Klinge nach oben. Die Katze begriff sehr wohl, was da blitzend auf sie zuschoß. Sie gab ihr Vorhaben auf (falls Walpurgas Verteidigung wirklich ihr Vorhaben gewesen war) und federte davon. Die Dolchspitze traf nun dort, wo eben noch das Tier gesessen hatte – in Nicholas’ Genick nämlich –, auf leere Luft. Und sie streifte scharf die Haut des Musikers. Nicholas kreischte gellend auf, begriff nicht gleich, daß er selbst sich die Wunde zugefügt hatte, und fuhr herum.
»Du elende Hure!« schrie er Walpurga ins entsetzte Gesicht.
Die Zeit schien mit einem Mal zäh wie Honig, die Luft war wie Glas. Jede Bewegung währte vor meinen Augen eine Ewigkeit, alles verlangsamte sich, wurde träge, schwerfällig. Faustus stürzte sich auf Nicholas, doch es war kein Stürzen mehr, sondern ein lahmes Taumeln. Angelina eilte ebenfalls nach vorne, doch auch sie kam viel zu spät.
Nicholas stieß den Dolch in Walpurgas Richtung. Die Klinge rammte wie ein silberner Blitz in ihre Kehle. Die Hexe riß beide Hände hoch, faßte sich an den Hals. Blut sprühte in feinsten Tröpfchen umher, ein roter, glitzernder Fächer.
Ich starrte fassungslos auf den rieselnden Blutschauer und fragte mich, ob Sonnenstrahlen in ihm ebensolche Regenbögen schaffen könnten, wie sie es im Wasser taten.
Das Schicksal blieb mir die Antwort schuldig. Draußen beherrschte immer noch wäßriges Nachtblau den Himmel, die Sonne schlief glühend hinter den Wäldern.
Walpurga taumelte zurück und rutschte mit dem Rücken an der Wand hinunter. Um sie herum ging eine eigene Sonne auf, ein sternförmiges Muster aus Rot.
Am Fuß der Wand sackte sie reglos zusammen.
Faustus und Angelina erreichten Nicholas im selben Augenblick. Sie packten den schreienden Mann, Angelina entwand ihm die blutige Klinge, während mein Meister seine Arme packte. Mit wenigen Handgriffen war er überwältigt und lag wehrlos auf dem Bauch. Faustus hockte über ihm und drückte die Hände des Musikers hinter dessen Rücken zusammen. Nicholas schrie und stöhnte, er verfluchte uns alle und brüllte immer wieder, die Hexe hätte es so gewollt. Sie sei die Mörderin, wie sonst hätte sie so über die toten Mädchen sprechen können, derart lästerlich und böse. Faustus redete auf ihn ein, doch als Nicholas weder Reue zeigte noch Ruhe gab, entschied er, ihn einzusperren.
Bosch hatte den Mord an Walpurga und das anschließende Handgemenge entgeistert, aber reglos beobachtet. Erst jetzt schien er zu begreifen, was wirklich geschehen war. Er trat neben Walpurgas Leiche, ging in die Hocke und starrte in ihre toten Augen.
»Wer hätte das gedacht?« flüsterte er leise. »Er hat es wirklich getan.«
Faustus und ich zogen Nicholas auf die Füße. Er strampelte mit den Beinen und versuchte, seine Arme loszureißen. Doch alle Versuche, sich zu befreien, blieben zwecklos. Unser Griff war eisern genug, um es mit den Kräften des Musikers aufzunehmen. Schließlich sah auch er selbst seine Niederlage ein und gab auf.
»Was habt ihr jetzt mit mir vor?« fragte er weinerlich. »Glaubt ihr etwa, ich sei
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