Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater
aus. Es würde ihm nicht schwerfallen, sie in die Enge zu treiben.
Gedankenverloren schüttelte ich den Kopf. Angelina ließ sich von niemandem in die Enge treiben. Ich mußte aufhören, von ihr wie von einem gewöhnlichen Mädchen zu denken. Sie war dreizehn Jahre lang als Kämpferin geschult worden. Sie wußte nur zu gut, wie man sich wehrte. Der Mörder, wer immer es sein mochte, würde kein leichtes Spiel mit ihr haben.
Nun begriff ich auch, weshalb Faustus mich im Keller statt im Geheimgang postiert hatte. Angelina würde sich selbst eingezwängt im Labyrinth zu verteidigen wissen. Zwar mochte meine Aufgabe die unheimlichere sein, doch falls es zu einer Begegnung mit dem Mörder kommen sollte, war ihr Posten gefahrvoller. Ich mußte mich lediglich bis zur Treppe durchschlagen und nach oben fliehen. Sie aber konnte nur über ein Gewirr von Leitern und Stufen entkommen.
Mit solcherlei Gedanken im Kopf muß ich wohl eingeschlafen sein, denn ganz plötzlich ruckte ich hoch und war einen Augenblick lang völlig verwirrt über den Ort, an dem ich mich befand. Ich wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war, und es war auch gleichgültig. Wichtig war allein, wie es Nicholas ging.
Ich erwähnte schon, daß ich von meinem Versteck aus keinen Blick in seine Zelle werfen konnte. Nicht einmal auf seine Tür. Deshalb horchte ich erst einmal auf Lebenszeichen.
Nichts war zu hören. Nur das Rauschen der unterirdischen Kellerwinde.
Ich schob meinen Kopf aus der Nische und blickte erst nach rechts den Gang hinab, in jene Richtung, in der die Zelle meines Schützlings lag. Die Fackel brannte noch, ihr gelbes Licht zuckte über die schwarzen Mauern. Auf dieser Seite des Gangs war keine Menschenseele zu sehen.
Ruckartig wandte ich den Kopf und sah in die andere Richtung, nach links. In etwa zehn Schritten Entfernung lag der Torbogen, der Ausgang des Kerkertraktes. Von dort aus war es nicht mehr weit bis zur Treppe. Beides war jedoch in der Finsternis nicht zu erkennen. Das Fackellicht reichte nicht weit genug. Bis zu jener Stelle, an der die Schatten den Gang verschluckten, war auch diese Seite leer. Niemand war da. Keiner, der mit erhobenem Messer durchs Dunkel pirschte.
Das Schwierigste aber stand mir erst noch bevor. Ich mußte herausfinden, ob Nicholas wohlauf war. Ihn zu rufen, verbot sich von selbst; er durfte nicht wissen, daß ich in seiner Nähe war. Blieb also nur, mein Versteck zu verlassen und näher an seine Gittertür zu schleichen. Vielleicht konnte ich einen Blick hineinwerfen, ohne daß er mich bemerkte.
Ich verfluchte meine Schläfrigkeit. Faustus würde mir niemals verzeihen, falls Nicholas während meiner Wache etwas zustieß. Was hätte ich ihm auch sagen können, wie mich verteidigen? Alles würde meine Schuld nur noch schlimmer machen, mein Ungeschick betonen. Ich hätte nicht abwägen mögen, an welcher meiner Ängste ich in diesem Moment schwerer zu tragen hatte: der Angst vor dem Zorn meines Meisters oder jener vor den Schrecken der Kellergewölbe und der Bedrohung durch den Mörder.
Ich hatte keine Wahl. Ich mußte jetzt hinaus auf den Gang.
Ein letztes Mal blickte ich nach links, dorthin, wo sich die Dunkelheit zu einer Mauer aus Schatten verdichtete. Das fehlende Licht war ein besseres Versteck, als meine Nische es je hätte sein können. In der Finsternis mochten noch so viele Gestalten lauern, von hier aus waren sie nicht zu erkennen.
Das gleiche galt für das rechte Ende des Korridors. Jenseits der Fackel schien das Dunkel sogar ungleich bedrohlicher. Die Flamme im Vordergrund täuschte meine Augen, schuf Leben, wo keines war. Oder etwa doch? Gleichgültig. Ich mußte nachsehen, mußte mir Gewißheit schaffen.
Vorsichtig, unendlich behutsam, setzte ich einen Fuß aus der Nische auf den Gang. Meine Rechte krallte sich feucht um den Griff meines Schwertes. Ich fühlte das Metallgeflecht des Handschutzes an meinen Fingern. Sein verworrenes Muster preßte sich in meine Haut. Trotz meiner Furcht hätte ich jede Form, jede Windung anhand der Berührung nachzeichnen können. Anspannung spielt einem Menschen seltsame Streiche.
Lautlos schob ich mich näher an die Zelle des Gefangenen heran. Fünf Schritte trennten mich noch von der Gittertür. Die Fackel knisterte, ihr Feuer fauchte leise. Aus der Zelle selbst drang kein Ton. Kein Schnarchen, kein Schaben von Kleidung auf Stein. Faustus hatte mir berichtet, daß Nicholas lange geweint hatte, während mein Meister Wache hielt. Doch jetzt war nicht
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