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Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Tier allzu gerne im Kamin geröstet. Die Erinnerung, wie es Angelina fast in den Tod gestürzt hatte, stand mir noch höchst lebendig vor Augen.
    »Die Katze bleibt«, entgegnete Walpurga kalt. »Immerhin hat auch keiner gefordert, daß deine Hurenkinder verschwinden.«
    Nicholas’ Hände schnellten vorwärts wie die Klauen eines jagenden Falken. Gleichzeitig sprang er auf Walpurga zu. Es war nicht klar, ob er nach der Hexe oder ihrer Katze gezielt hatte, denn seine Hände verfehlten beide. Mit überraschender Behendigkeit erhob sich Walpurga vom Stuhl und floh mit zwei, drei Sätzen aus Nicholas’ Reichweite.
    Der Musiker heulte auf wie ein getretener Straßenköter und setzte zur Verfolgung an. Bosch und Faustus schrien gleichzeitig, die beiden sollten sich beruhigen und das Unglück nicht herausfordern, doch niemand scherte sich darum.
    Die Katze hockte immer noch gebuckelt auf Walpurgas Schulter. Einen Moment lang schien es mir, als wisperte sie der Frau etwas ins Ohr. Zweifellos eine Täuschung.
    Während Nicholas immer näher kam, wich Walpurga zurück. Schließlich stieß ihr Rücken gegen die hohe, abblätternde Wand des Saales. Die Grimasse des Musikers gewann durch ein böses Lächeln an Schrecken.
    »Nicholas!« schrie Faustus erneut und sprang ebenfalls auf. Es sah aus, als wollte er notfalls mit Gewalt einschreiten. Angelina und ich erhoben uns, um ihm beizustehen. Allein Bosch blieb sitzen und verfolgte das Geschehen gelassen, wenn auch mit Neugier.
    Ein Schritt mochte Nicholas und Walpurga jetzt noch voneinander trennen. Faustus rannte von hinten auf den Musiker zu.
    Plötzlich wirbelte Nicholas herum. Blitzschnell griff er unter sein Wams. Als er die Hand wieder hervorzog, blitzte ein Dolch in seinen Fingern. Die Klinge maß fast die doppelte Länge meiner Hand. Ihre Spitze wies auf Faustus.
    Mein Meister blieb stehen. Damit hatte er wohl nicht gerechnet. Angelina und ich schlossen zu ihm auf, und blieben in drei Mannslängen Entfernung vor Nicholas stehen.
    Die Stimme des Musikers klang leise, doch die Drohung, die darin mitschwang, war nicht zu überhören. »Ihr habt es doch gehört, nicht wahr? Sie hat sie Hurenkinder genannt. Hurenkinder!«
    »Beruhige dich«, sagte Faustus behutsam und machte einen vorsichtigen Schritt auf ihn zu.
    »Bleib stehen!« schrie Nicholas und stocherte mit dem Dolch in der Luft. Mit einem Kopfnicken wies er hinter sich, auf Walpurga. »Was ist, wenn sie die Mörderin ist? Hat sie dann den Tod nicht verdient?« Sein Gesicht sah aus, als kochte das Blut unter der Haut.
    »Wovon hast du vergangene Nacht geträumt?« fragte Faustus unvermittelt.
    Nicholas sah ihn verblüfft an. »Ich… ich habe nicht geträumt.«
    Faustus nickte. »Keiner von uns hat geträumt, nicht wahr? Seit wir in diesem Schloß sind. Niemand träumt mehr irgend etwas.« Er schaute fragend Walpurga und Bosch an. Der Maler nickte stumm, während die Hexe es für ratsamer hielt, sich nicht zu bewegen. Die Gefahr, die von Nicholas ausging, war keineswegs gebannt.
    Ich selbst dagegen wollte meinem Meister widersprechen, denn ich hatte sehr wohl geträumt, von Angelina mit Engelsschwingen aus Messern statt Federn. Galten seine Worte nur für die Traumschüler?
    »Wir träumen nicht«, sagte Faustus noch einmal. »Das bedeutet, daß der Traumvater in unser aller Köpfen ist. Er spielt mit uns. Er löscht unsere Träume aus und vielleicht auch unsere Gedanken. Schlimmer noch: Vielleicht fügt er Dinge hinzu! Habt ihr je darüber nachgedacht? Nicholas, was ist mit dir? Ist es wirklich dein eigener Wille, der dich lenkt? Oder ist es der Wille des Traumvaters?«
    Ich begriff, was er vorhatte. Und ich bewunderte ihn maßlos für seine Klugheit.
    »Ich…«, stammelte Nicholas, »ich bin ich selbst. Ich fühle es.«
    »Ist es wirklich deine eigene Wut, Nicholas?« Faustus machte einen weiteren Schritt auf ihn zu. Ganz langsam. Diesmal blieb das Messer ruhig. Keine neuen Drohungen.
    »Meine Wut… ja, natürlich.« Die Ratlosigkeit des Musikers schlug um in Verwirrung. »Meine Wut!«
    Faustus hatte erwähnt, daß Nicholas’ Geist an der Grenze zum Wahnsinn schwankte, mal hierhin, mal dorthin. Man mochte es ihm die meiste Zeit über nicht anmerken, nun aber hatte ihn einer seiner Anfälle gepackt. Faustus, immerhin studierter Mediziner, ahnte wohl, wie er damit umzugehen hatte.
    Er machte einen weiteren Schritt auf Nicholas zu.
    Walpurga preßte sich noch immer eng an die Wand. Aus ihren Augen sprach Zorn, aber

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