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Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger

Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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ihm schon verübeln?« Er musterte mich listig. »Aber das musst du ja wissen. Du kanntest ihn ja.«
    »Ich … ähm, ich selbst kannte ihn nicht.« Ich lachte nervös. »Meine Schwester hat’s mit ihm getrieben, nicht ich, verstehst du? Ich war gar nicht in der Gegend.«
    Zeeman grunzte, offenbar zufrieden mit dieser Antwort.
    »Wo hat man ihn begraben?«, fragte ich.
    »Drüben, auf dem Arbeiterfriedhof.«
    »Kannst du mir sein Grab zeigen? Nur damit ich meinen armen Eltern berichten kann, dass ich mit eigenen Augen gesehen habe, dass er für seine Sünden bestraft wurde.«
    Zeeman schaute sich um, sah, dass unser Dienstherr gerade mit ein paar anderen Handlangern beschäftigt war, dann nickte er. »Ich zeig’s dir. Ist auch nicht schwer zu finden – einfach dem Geruch nach.«
    »Jetzt gleich?«
    »Sicher.«
    Wie verließen rasch den einstigen Innenraum der Basilika, über deren gezahnten Mauerresten allmählich die Dämmerung hereinbrach. Überall auf dem Bauplatz wurden jetzt Fackeln entzündet, damit die Arbeiten auch im Dunkeln weitergehen konnten. Im Vorbeigehen sah ich, dass man noch immer bemüht war, den großen Steinblock beiseite zu stemmen, unter dem die Arme und Beine des Unglücklichen hervorragten. Ich bemerkte, dass Zeeman bei dem Anblick abermals scharf die Luft ausstieß und würgte. Rasch schob ich ihn weiter.
    Der Bauplatz verwandelte sich in der Dunkelheit in ein verwirrendes Netzwerk aus Lichtern, ein Panorama von solcher Schönheit, dass es einen all den Schmutz und die schwitzenden Körper vergessen ließ. Aber ich hatte keine Zeit, um den Blick auf die Unzahl von Fackeln und Lampen zu genießen. Zeeman schritt eilig aus, und ich folgte ihm geschwind.
    Wir umrundeten in einem weiten Bogen die Ruine der Konstantinsbasilika und kamen in einen Teil der Anlage, der nahezu menschenleer war. Dreckhügel waren hier aufgehäuft worden, ein Gebirge aus ausgehobenem Erdreich mit kleinen Tälern und doppelt mannshohen Gipfeln. Wir stapften weiter durch den Schlamm, in Schlangenlinie um die kleinen Hügel herum, ehe Zeeman schließlich auf einer Kuppe stehen blieb und nach vorne wies.
    »Das ist er«, sagte er. »Der Gottesacker für die Arbeiter.«
    Mein Blick folgte seinem ausgestreckten Arm und sah – nichts.
    »Was meinst du?«, fragte ich. »Da ist kein Friedhof.«
    Er lachte. »Wir nennen es hier so. Keiner will wahrhaben, dass er vielleicht selbst einmal in solch einem Loch verscharrt wird.«
    Ein Loch! In der Tat, jetzt erkannte ich, was er meinte. Vor uns öffnete sich ein regelrechter Krater, zehn Schritte im Durchmesser und ebenso tief. Dahinter gab es noch vier weitere davon, zu Dreivierteln zugeschüttet, was darauf schließen ließ, dass sie bereits reichlich gefüllt waren.
    »Die schmeißen einen in ein Massengrab?«, fragte ich fassungslos.
    »Sicher doch. Keine Zeit, um jedem ein ordentliches Begräbnis zu geben.«
    »Gibt es so viele Tote hier?«
    »Du bist jetzt nicht mal einen Tag hier. Trotzdem hast du schon deine erste Leiche gesehen. Und, glaub mir, heute war ein guter Tag!«
    Ich schüttelte ungläubig den Kopf. »Aber man sollte doch meinen, dass die Kirche …«
    Er fiel mir ins Wort. »Dass sie besorgt ist um ihre Schäfchen, die sich hier für sie abrackern?«
    »Gewiss.«
    »Vergiss es.« Er schlitterte vorsichtig den Dreckhügel hinunter, bis an den Rand des Leichenlochs.
    So ganz allein auf der Kuppe zu stehen war mir unheimlich, ich fühlte mich schutzlos und verloren, und so folgte ich ihm rasch, obwohl meine Neugier befriedigt war. Wie hatte ich diesen Ort satt! Mein Meister würde sich ein paar heftige Worte gefallen lassen müssen.
    Ich kam neben Zeeman zum Stehen und schaute hinab in die Grube. Ein kleiner Tümpel hatte sich an ihrem Grund gebildet. Aus der brackigen Oberfläche ragten Leichenteile.
    »Wann schüttet man die … Gräber zu?«, fragte ich und hielt mir die Nase zu.
    »Wenn genug Leichen zusammengekommen sind.«
    Zeeman lachte, aber diesmal klang es bitter, fast ein wenig verzweifelt. »Wenn wir lange genug hier arbeiten, ist uns ein Platz da unten sicher. Vortreffliche Aussicht, was?«
    Ich schwieg, konnte nur den erbärmlichen Anblick der Totengrube in mich aufnehmen und versuchen zu verstehen, was es bedeutete, wenn man tatsächlich keine andere Wahl hatte, als tagein, tagaus auf dem Bauplatz zu schuften, in dem Wissen, dass jeder Unfall, jedes fatale Missgeschick einen hierher bringen würde, in ein nasses Loch, achtlos hinabgeworfen wie ein

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