Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger
dass ihm ein Schneidezahn fehlte. »Dies und das, natürlich. Derlei hat uns alle hergebracht, nicht wahr?«
»Ich schätze schon.«
»Ärger gehabt mit der Obrigkeit?«
»Wer hat das nicht?«
»Wohl wahr, wohl wahr …«
Da mir der Sinn nicht nach Verbrüderung stand und ich diesen unangenehmen Ort so bald wie möglich verlassen wollte, ging ich gleich aufs Ganze.
»Sag«, flüsterte ich und nahm ihn beiseite, »ist dir ein Mann bekannt, der sich selbst Filius nannte?«
Zeeman runzelte die Stirn. »Filius? Soll das sein Name sein?«
»Vielleicht. Möglich ist auch, dass er sich nur als Filius ausgibt … als Sohn von irgendjemandem.« Innerlich seufzte ich. Wie sollte man mit solch vagen Vorgaben einen bestimmten Menschen finden, noch dazu auf einem Bauplatz, auf dem Hunderte, vielleicht sogar Tausende arbeiteten?
Der Holländer schien mir kein verkehrter Kerl zu sein, doch er war auch nicht besonders helle. Vor allem aber war er eines – misstrauisch!
Er rückte abrupt von mir ab. »Warum suchst du ihn?«
»Ich … er schuldet mir Geld.« Ich ahnte noch während ich sprach, dass dies die falsche Antwort war. Hier auf dem Bauplatz verriet man einander nicht. Eilig fügte ich hinzu: »Eigentlich meiner Schwester. Er hat sie geschwängert, der Hundsfott. Sie hat das Kind verloren, und dabei ist sie selbst dem Tod nur um Haaresbreite von der Schippe gesprungen. Ihre Heilung war lang und teuer, und meine Eltern mussten ihren Hof verkaufen, um sie zu retten. Und nun bin ich hier, um seinen Teil einzufordern.«
Der tragische Leidensweg meiner Familie sprudelte mir wie von selbst über die Lippen, ganz ohne nachzudenken. Zeemans eigene Geschichte hatte mich inspiriert.
Der Holländer musterte mich eindringlich. »Ist das die Wahrheit?«
Ich winkte ab. »Wenn du mir nicht helfen willst, dann lass es. Meine Schwester wird dann nicht im Kindbett, sondern vor Hunger sterben.«
Ein schiefes Lächeln huschte über seine Züge, und wieder entblößte er die schwarze Zahnlücke. »Wenn es stimmt, was du sagst, dann ist der Kerl tatsächlich ein übler Schuft. Einem Mädchen sowas anzutun!« Er grinste noch breiter. »Und wenn nicht, bist du zumindest ein guter Lügner.«
Ich gab keine Antwort.
Zeeman klopfte mir auf die Schulter. »Weißt du, Johann, ich will dir helfen. Weil es nämlich ohnehin keinen Unterschied mehr macht.«
»Wie meinst du das?«
Er überlegte kurz. »Mag sein, dass ich den Mann kenne, den du suchst – allerdings würde das bedeuten, dass deine Schwester einen verflucht schlechten Geschmack hat, was Männer angeht.«
»Er war … nicht schön«, sagte ich rasch, um so zu tun, als wüsste ich genau, wovon er sprach.
»O, doch, das war er«, widersprach Zeeman. »Ein hübsches Bürschchen.«
Vorsichtiger fragte ich: »Dann war er dumm?«
»Dumm?«, grölte der Holländer. »Ein völlig Wahnsinniger, das war er!«
»Wieso eigentlich war ?« Meine Unschuldsmiene hätte sogar den Allmächtigen höchstpersönlich getäuscht.
»Weil er tot ist. Mausetot ist er.«
Ich unterdrückte meinen Triumph. Ja, dachte ich, der gute Wagner hat es mal wieder geschafft. Die richtigen Fragen gestellt, der rechten Fährte gefolgt und schon ein Erfolg! Was würde Faustus nur ohne mich tun?
»Dann ist wohl kein Geld mehr bei ihm zu holen?«, fragte ich mit gespielter Enttäuschung.
Zeeman schüttelte den Kopf. »Es sei denn, du findest einen, der dir seine lausigen Knochen abkauft.«
»Woher kennst du ihn? Hat er sich tatsächlich Filius genannt?«
»Filius von Gottvater selbst!«, erwiderte Zeeman und lachte schallend. »So ein Dummkopf! Er hat hier gearbeitet, drüben bei einem Steinmetz. Und die ganze Zeit über ist er rumgelaufen und hat allen erzählt, er sei der Sohn des Herrn und es würde nicht mehr lange dauern, da würde auch der Papst erkennen, dass der Messias in ihm wieder geboren ist.« Der Holländer schnaubte verächtlich. »Hat ein Heidenglück gehabt, sag ich dir, dass kein Pfaffe sein Geschwätz gehört hat. Die hätten ihn schneller auf den Scheiterhaufen gestellt, als er hätte Filius buchstabieren können.«
Ich bezweifelte arg, dass Zeeman selbst seinen eigenen Namen buchstabieren konnte. Sei’s drum.
»Was ist mit ihm passiert?«
Er hob die Schultern. »Na, so wie’s aussah, hat er irgendwem seine Geschichte einmal zu oft erzählt. Irgendwer hat ihm im Suff den Hals umgedreht. Einfach so, mit bloßen Händen. Konnte das Gerede einfach nicht mehr ertragen. Und wer kann’s
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