Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger
einem Eisenring neben einem Hauseingang loderte. Gierig sprangen die Flammen auf das Papier über. Faustus hielt den Brief in Händen, bis das Feuer fast seine Finger erreicht hatte. Dann erst ließ er ihn fallen und sah nachdenklich zu, wie er lautlos und brennend zu Boden schwebte.
3. Kapitel
»Wo ist Angelina?«
Als ich die Tür des Gasthofzimmers öffnete und Faustus’ zerfurchte Stirn sah, wusste ich, dass etwas nicht so war, wie es sein sollte.
»Wo ist sie?«, fragte ich noch einmal.
»Sie war fort, als ich vom Vatikan zurückkam.«
»Und wo ist sie hin?«
»Ich bin Schwarzkünstler, Wagner, aber was die Hellseherei angeht, war ich nie besonders …«
Ich schnitt ihm das Wort ab; eigentlich höchst ungebührlich, doch in diesem Moment waren mir die Folgen gleichgültig. »Sie kann nicht einfach allein da draußen herumlaufen«, entfuhr es mir erschrocken. »Sie kann mit niemandem sprechen. Man wird sich über sie lustig machen, weil sie die Maske trägt. Die Stadt ist gefährlich, die Menschen hier sind gefährlich. Ich will nicht, dass sie …«
Der Meister erhob sich von seinem Stuhl, trat auf mich zu und legte seine Hände auf meine Schultern. »Angelina kommt allein zurecht. Du hast sie heute auf dem Bauplatz erlebt. Ihr passiert nichts.«
»Aber wir wissen beide nicht, was wirklich in ihrem Kopf vorgeht«, entgegnete ich verzweifelt. »Was bewirkt die Stadt in ihr? Das Wiedersehen von Orten, die sie kennt? Und was passiert, wenn sie anderen Engeln über den Weg läuft?«
»Anderen Engeln?«
Ich nickte aufgebracht. »Ich habe sie gesehen. Draußen auf dem Bauplatz. Sie waren zu zweit. Aber der Holländer hat gesagt, es gibt noch mehr davon, und dass sie nachts rauskommen und umherstreifen und dass sie …«
»Wagner, Wagner«, sagte er sanft. »Beruhige dich erst einmal. Du bekommst ja kaum noch Luft vor Aufregung.«
Er presste mich hinab auf einen Stuhl vor dem Fenster. Das Zimmer im ersten Stock der Herberge war gerade groß genug für unsere drei Betten. Die Decken sahen aus, als hätten sie lange Zeit kein frisches Wasser mehr gesehen. Über der Tür hing als einziger Wandschmuck ein kleines Kreuz. Man hatte den Boden mit Stroh ausgelegt, das zum einen die Füße wärmte, zum anderen leicht hinausgefegt werden konnte, wenn es gar zu schmutzig wurde. Durch das Fenster drang der Lärm des Viertels herein. Selbst zu so später Stunde trieben sich zahllose Menschen in den engen Gassen herum, zumeist Arbeiter vom Bauplatz und Konkubinen, die den Männern die Tageslöhne aus den Taschen zogen.
Faustus setzte sich mir gegenüber auf eine Bettkante. »Erzähl mir von den Engeln.«
Ich holte tief Luft, dann berichtete ich ihm, was ich erlebt hatte. Zugegeben, ich schmückte die Einzelheiten ein wenig aus – der Steinblock war jetzt haarscharf an mir vorbei gefallen, als er den Arbeiter erschlug –, ansonsten aber hielt ich mich eng an die Wahrheit. Ich erzählte ihm von Zeeman und davon, dass er mich zu den Leichengruben im Westteil des Geländes geführt hatte. Auch von dem Jungen, der sich als Sohn Gottes ausgab, sprach ich, und ich freute mich, dass Faustus anerkennend nickte. Zuletzt beschrieb ich ihm die beiden Gestalten in ihren dunklen Gewändern, flüsternd und unheimlich auf der Hügelkuppe.
»Im Mondlicht konnte ich kurz das Gesicht des einen sehen«, schloss ich meinen Bericht. »Es gibt keinen Zweifel, Meister – er war ein Engel wie Angelina.«
»Und der Holländer sagte, sie sprechen nur Latein?«
»Allerdings. Sie waren es, glaubt mir. Mich wundert nur, dass sie sich offen auf dem Bauplatz zeigen. Jeder kann sie dort sehen.«
»Man kann Kämpfer wie sie nicht ewig in den Katakomben unter dem Vatikan einsperren«, mutmaßte Faustus. »Sie sind zu gefährlich.«
Ich dachte an unsere eigenen Auseinandersetzungen mit den Borgia-Engeln am Fuß der Wartburg und musste ihm Recht geben. Egal, womit man auch versucht hatte, ihnen alles Menschliche auszutreiben – ihren Freiheitsdrang konnten nicht einmal die Lehrmeister des Borgia auslöschen. Angelina war der lebende Beweis.
Ich stand auf und klopfte mir Schmutz und Staub von den Kleidern. In einer Kanne am Boden stand Wasser. Ich füllte etwas davon in die Waschschüssel auf dem Fensterbrett und wusch mir Gesicht und Hände. Danach ging es mir nur kaum besser – jeder meiner Muskeln schmerzte von der harten Arbeit –, aber ich fühlte mich ein wenig klarer.
»Wie ist es Euch ergangen?«, fragte ich.
Faustus wurde aus
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