Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger
zurück.
Mein Ziel war ein langer Tisch, der vor einem Mauerrest der alten Basilika stand. Dahinter saßen zwei Männer mit allerlei Listen, Tintenfässern und Gänsekielen. Hinter ihnen stand eine schwere Eichentruhe mit Eisenbeschlägen, gesichert durch ein großes Vorhängeschloss. Vier Soldaten, Angehörige der Schweizer Garde, bewachten die Truhe mit aufgepflanzten Hellebarden.
Noch einmal schaute ich zurück zu meinem Meister und Angelina. Faustus nickte mir aufmunternd zu.
Mit einem Seufzen wandte ich mich an einen der Zahlmeister und erklärte mein Begehr.
Es wurde bereits dunkel, als ich hinter mir einen Schrei vernahm. Ein Mensch schrie in höchster Not, dann ertönten aufgeregte Rufe.
Der Holländer, der gemeinsam mit mir einen Balken über den Bauplatz trug, stieß einen dumpfen Laut aus. Ich spürte, wie das Holz in meinen Händen schwerer wurde, dann glitt es mir aus der Hand. Als ich herumfuhr, sah ich, dass der Holländer sich vorbeugte und sein Mittagessen in den Schmutz erbrach.
Einen Augenblick später erkannte ich den Grund.
Nicht weit von uns, keine zehn Schritte entfernt, hatte sich ein großer Gesteinsbrocken aus der Ruinenwand der Basilika gelöst, war beinahe zehn Mannslängen in die Tiefe gestürzt und hatte einen der Arbeiter erschlagen, die am Fuß der Wand eine Bauhütte betrieben. Das Erschreckende war nicht die Tatsache seines Todes – ich hatte mehr als genug Leichen gesehen in meiner Zeit an Faustus’ Seite –, sondern die Art und Weise, wie der Tod ihn uns anderen darbot: Sein Torso war unter dem Stein verschwunden, während seine Arme und Beine darunter hervorschauten, angewinkelt wie die Glieder einer Spinne. Es war bizarr, ja kurios – doch gerade das machte den Anblick so schrecklich.
Ein Pulk von Menschen bildete sich in Windeseile um den Toten und versperrte uns die Sicht. Vorarbeiter kämpften sich durch die Menge und brüllten Anweisungen.
Ich stieg über den Balken und trat neben den Holländer. »Geht es wieder?«
Er schaute auf, dunkelblond, mit vernarbtem Gesicht wie ein alter Haudegen und trotzdem nicht viel älter als ich selbst. Auf den ersten Blick wirkte er wie ein abgebrühter Kerl, dem so leicht nichts einen Schrecken einjagen konnte. Umso erstaunter war ich, wie sehr ihn der Unfall mitnahm.
Er wischte sich Erbrochenes vom Kinn, schaute einen Moment angewidert auf seinen Handrücken und streifte ihn dann im Staub ab. »Schon gut«, keuchte er.
Ich nahm seinen Arm und half ihm, sich aufzurappeln.
»Passiert sowas oft?«
»Wie lange bist du hier?«
»Erst seit heute Mittag.«
Er nickte, als erkläre dies so manches. »Es gibt dauernd Tote hier.«
»Wie ist dein Name?«
»Zeeman«, sagte er. »Und deiner?«
Ich konnte mir selbst gerade noch Einhalt gebieten, ehe ich meinen wahren Namen und meinen Posten als Adlatus meines Meisters offenbarte. Die Nennung war mir bereits in Fleisch und Blut übergegangen: Christof Wagner, rechte Hand des weltberühmten Doktor Faustus, des Quellbrunns der Nekromanten, Zweiten unter den Magiern, Astrologen, Chiromanten, Aeromanten, Geomanten, Pyromanten und Hydromanten. Ja, was für ein Titel!
»Johann«, stellte ich mich vor. Und um von mir abzulenken fügte ich hinzu: »Zeeman … das ist ein ungewöhnlicher Name.«
»Mein Vater fuhr zur See, genau wie meine älteren Brüder. Sie benannten mich nach dem, was sie waren, aber für mich war kein Platz mehr auf ihrem Boot. In einem Sturm gingen sie unter und ertranken. Meine Mutter nahm sich das Leben. Und nun bin ich hier.«
Die Leichtfertigkeit, mit der er diese Dinge erzählte, machte mich wundern. »Wie lange arbeitest du schon hier auf dem Bauplatz?«
»Sieben Wochen. Siebeneinhalb.«
Wir nahmen den Balken wieder auf und setzten unseren Weg fort, geradewegs durch den Spalt in den Basilikamauern, wo sich einst das Portal befunden hatte. Im Innenraum herrschte reges Treiben, weit turbulenter noch als draußen auf dem Platz. Überall wurden alte Steine abgetragen, Platten aus dem Fußboden gestemmt und neue Gerüste errichtet. Weit am anderen Ende des ehemaligen Innenraumes erhoben sich majestätisch die vier Säulen, auf denen später einmal die Kuppel ruhen sollte. Ihr Anblick war selbst aus der Ferne atemberaubend.
»Was hat dich hierher verschlagen?«, fragte Zeeman, nachdem wir den Balken an seinem Bestimmungsort abgeliefert hatten.
»Oh …«, machte ich mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Dies und das.«
Der Holländer grinste. Ich sah,
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