Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger
Besitz von dem Jungen Dominus ergriffen – er war neugeboren in ihm. Was immer zuvor da gewesen war, war nun für immer ausgelöscht.
»Wenn du mir nicht hilfst«, begann Faustus, »heißt das, du wirst …«
»Gegen dich kämpfen? Ganz gewiss nicht. Ich will nur nicht, dass es mein Kampf wird.«
Nachdem Faustus eine Weile nachgedacht und geschwiegen hatte, fragte Spiritus: »Hast du einen Plan?«
»Sag mir eines«, verlangte Faustus statt einer Antwort. »Weiß Papst Leo, wo Alexander sich versteckt?«
Spiritus lachte auf. »Bist du von Sinnen? Er würde umgehend jeden Gardisten dorthin schicken, um das Nest des Borgia auszuräuchern.«
»Aber ihm müssen doch Gerüchte zu Ohren gekommen sein! Alexanders Männer marschieren dort bewaffnet ein und aus, jeder kann sie sehen.«
»Viele adelige Familien in Rom unterhalten Privatarmeen. Und solange Alexander sich nicht selbst sehen lässt, erfährt keiner die Wahrheit.«
Faustus war noch immer nicht überzeugt. »Aber selbst unter den Männern des Borgia muss es Verräter geben. Spione des Vatikans. Oder nur den einen oder anderen, der im Suff geschwätzig wird. Eine solche Sache kann man nicht geheim halten, nicht in einer Stadt wie Rom.«
»Nicht vor allen«, pflichtete Spiritus ihm mit verschmitztem Lächeln bei. »Aber sehr wohl vor dem Papst. Im Vatikan gibt es genug Männer, die über Alexander Bescheid wissen.«
Faustus dachte an Pamphili und nickte stumm.
»Vergiss nicht«, fuhr der Junge fort, »dass kein Mann in Rom derart behütet wird wie der Papst. Seine Berater entscheiden, was ihm zu Ohren kommt und was nicht. Der Borgia hat noch immer loyale Anhänger im Papstpalast, und sie wissen die Wahrheit zu verschleiern, bevor sie durch die Türen von Leos Gemächern dringt. Solange die Gerüchte nicht den Papst selbst erreichen, ist Alexander sicher.«
Faustus erkannte allmählich, dass die Verschwörung um die Wiedergeburt des Borgia ungleich weitreichender war, als er bislang angenommen hatte. Wie viele Männer auf hohen Posten des Vatikans mochten darin verwickelt sein? Ein Dutzend? Noch mehr?
Er fasste einen Beschluss.
»Sag schon«, drängte Spiritus mit jungenhafter Neugier, »was willst du unternehmen?«
»Wenn ein Mann bis zum Papst vordringt und ihm die Wahrheit berichtet …«
Spiritus fiel ihm ins Wort. »Du willst zum Papstpalast gehen und mit Leo sprechen? Nie und nimmer wird man einen dahergelaufenen Kerl wie dich vorlassen.«
»Das kommt ganz darauf an.«
»Worauf?«
»Wer dieser Kerl ist. Wenn es jemand ist, den Leo selbst zu sehen wünscht, könnten sich die Tore öffnen.«
»Warum sollte er dich sehen wollen? Leo hat nur Sauferei und Völlerei im Sinn, ganz Rom weiß das. Er hat keine Geduld für die Kirchengeschäfte, für ihn zählen nur prachtvolle Feste und Gelage. Man sagt, er habe Schulden gemacht – über vier Millionen Dukaten.« Zog man in Betracht, dass in Rom ein Haus für hundert Dukaten zu haben war, war dies tatsächlich eine erkleckliche Summe.
Doch Faustus war nicht überrascht. Er hatte bereits von den Ausschweifungen Leos gehört. Hatte Alexander zu seiner Amtszeit Schwarze Messen gefeiert und die Portale des Vatikans für Hunderte von Huren geöffnet, waren die Lustbarkeiten Leos schnöderer Natur: Saufen und Fressen waren seine Makel, ohne jeden Hintersinn. Er war ein Genussmensch, wie es sie in Klerus und Adel überall gab. Schon erzählte man sich, er würde das Papsttum in den Ruin treiben. Er hatte Schulden bei allen großen Geldverleihern der Stadt. Der angesehenen Bankiersfamilie Strozzi drohte gar der Bankrott, weil Seine Heiligkeit keine einzige Dukate zurückzahlen konnte. Dass trotz allem die Arbeiten an der neuen Kathedrale weitergingen, lag nur am Wohlwollen frommer Gönner, aus deren Vermögen die Löhne der Arbeiter gezahlt wurden. Die meisten von ihnen waren klug genug, ihr Gold höchstpersönlich zum Bauplatz zu tragen; hätten sie es den vatikanischen Bittstellern anvertraut, wäre damit doch nur Leos Weinkeller gefüllt oder seine Küche bestückt worden.
»Du hast Recht«, sagte der Doktor. »Und doch gibt es etwas, das sogar Leos Appetit übertrifft – sein Hass auf Alexander. Trotz aller Völlerei ist Leo ein gläubiger Mensch, und die Teufelsanbetung des Borgia ist ihm immer zuwider gewesen. Abgesehen davon nimmt er Alexander gewiss das lästige Vermächtnis übel, das er ihm in den Katakomben hinterlassen hat. Er würde die Engel lieber heute als morgen loswerden.«
Spiritus
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