Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger
wohl auch Alexander, dass es keinen Frieden mit seinen Kindern geben würde. Ich bin nicht einmal sicher, ob die beiden überhaupt an seine Wiedergeburt geglaubt haben. Wahrscheinlich haben sie nur einen kleinen blonden Jungen vor sich gesehen, nichts sonst.« Er lachte abfällig. »Danach wussten seine verbliebenen Anhänger im Vatikan nicht, was man mit uns tun sollte. Er selbst hatte die Katakomben ja längst verlassen und war mit seinem Gefolge untergetaucht, Papst Leo hatte keine Ahnung, was er mit uns anstellen sollte. Die anderen Engel taugten zumindest als Krieger, aber Filius und ich waren zu nichts nutze – unsere Ausbildung war vor allem eine des Wissens gewesen, nicht des Kampfes. Alles, was ich heute beherrsche, habe ich mir selbst beigebracht.« Er wies auf den Köcher mit Pfeilen an seinem Gürtel. »Ich bin sicher, Leo hätte uns früher oder später töten lassen, und wenn nicht er, dann einer von Alexanders Handlangern im Papstpalast. Doch einer unserer Lehrmeister hatte Mitleid und ermöglichte uns die Flucht. Seitdem schlage ich mich durch. Der Borgia hat mir und den anderen schlimme Dinge angetan – aber das weißt du.«
»Filius ist tot, sagte man mir.«
Der Junge nickte. »Er war merkwürdig, schon eine ganze Zeit, bevor wir entkamen. Ich glaube, er hatte schon früher erfahren, was man mit uns vorhatte. Er hat versucht, damit zu leben und konnte es nicht. Draußen auf den Straßen war er verloren. Er erzählte jedem, er sei der Sohn Gottes, und alle hielten ihn für verrückt. Zu Anfang habe ich versucht, mich um ihn zu kümmern, aber irgendwann wurde sein Verhalten immer seltsamer. Er war krank, glaube ich, und es wurde schlimmer. Er hat uns beide gefährdet, trieb sich auf dem Bauplatz herum und faselte wirres Zeug. Ich fand heraus, dass der Borgia ihn beobachten ließ, und ich glaube, dass er es war, der den Auftrag gab, Filius zu töten. Sicher, angeblich hat ihn irgendein Arbeiter erschlagen. Und vermutlich stimmt das sogar. Aber keiner hat gefragt, was der Arbeiter dafür bekommen hat. Er hätte es auch niemandem mehr erzählen können, so schnell haben die ihn aufgeknüpft. Von da an wurde ich noch vorsichtiger. Wenn Alexander mich in die Finger bekommt, bin ich tot.« Jetzt grinste er wieder wie ein begeistertes Kind. »Umso mehr Spaß macht es, ihm auf der Nase herumzutanzen.«
»Warum hast du Rom nicht verlassen?«
»Was soll ich denn anderswo?« Ein Anflug von Trauer überschattete seine ebenmäßigen Züge. »Ich bin da, wo der Borgia ist.«
»Wenn du ihn so sehr hasst, warum hast du ihm dann vorhin keinen Pfeil ins Herz gejagt?«
»Vielleicht habe ich es ja versucht.«
»Nein«, widersprach Faustus bestimmt. »Der Pfeil vor seinen Füßen hat ihn absichtlich verfehlt.«
Der Junge schwieg einen Moment, zögerte. »Er ist immer noch mein Bruder«, sagte er dann. »Irgendwie.«
Faustus sah ihn lange an, versuchte zu erkennen, was hinter dem tiefen Blau dieser Augen vorging. Wie sehr musste der Junge darunter leiden, in einem ewigen Widerstreit aus Hass und Liebe zu leben? Im Grunde unterschied sich das, was er tat, nicht von den spielerischen Kämpfen kleiner Kinder: Einen Moment lang waren sie vor Wut bereit, dem anderen einen Stein oder Knüppel auf den Kopf zu schlagen, um bald darauf gemeinsam in einer Ecke zu sitzen und sich ihr Spielzeug zu teilen. Es war diese Art von Gefühlen, die Spiritus für den Borgia hegte, und seine Trauer darüber war größer, als sein munterer Auftritt vermuten ließ.
»Willst du, dass ich ihn töte?«, fragte Faustus und sah ihn dabei eindringlich an.
»Du? Wie könntest du das?«
Faustus schüttelte den Kopf. »Sag mir erst, ob du mir helfen wirst?«
Spiritus überlegte kurz, dann wich er Faustus’ Blicken aus. »Nein«, sagte er leise. »Äußerlich ist er immer noch mein Bruder. Der Einzige, der mir geblieben ist, nachdem man uns von zu Hause fortgebracht hat. Meine Eltern, meine Schwestern – sie alle leben nicht mehr.«
»Er ist nicht mehr dein Bruder«, sagte Faustus. Es war ein aussichtsloser Versuch, das war ihm klar, noch während er die Worte sprach. Und er konnte es dem Jungen nicht einmal übel nehmen.
»Tief im Inneren muss noch etwas von ihm übrig sein«, widersprach Spiritus.
»Glaubst du das wirklich?«
»Mit dem Herzen. Nicht mit dem Kopf.«
Es hatte keinen Sinn, dagegen anzureden. Spiritus kannte die Wahrheit, und doch wollte er nicht akzeptieren, dass sein Bruder tot war. Alexander hatte nicht einfach
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