Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger
ihn verstümmelte oder tötete.
Er stammelte, dass er uns alles verraten würde, wenn wir nur die Blutung stillten. Ich hieb einen Streifen von einem der Vorhänge ab und umwickelte seine Hand damit, während Angelina ihn weiter in Schach hielt. Versehentlich stieß ich dabei gegen den abgetrennten Ringfinger; ein Zittern durchfuhr mich bei der Berührung.
Wir setzten den Bibliothekar auf seinen Hocker und lehnten ihn mit dem Rücken gegen das Schreibpult. Angelina schlang eine der Vorhangschnüre um seine Waden, damit er nicht fortlaufen konnte.
»Nun?«, fragte ich und gab mir Mühe, gelassen zu klingen. Ich hoffte sehr, dass mein innerer Aufruhr nicht allzu offensichtlich war.
Pamphili begann mit schleppender Stimme zu erzählen.
Feuchte Pilzkissen schimmerten an den Wänden des Tunnels. Es roch nach Erde und abgestandenem Wasser, nach nassem Gestein und einer toten Katze, die sich vor Wochen in eine Nische zum Sterben zurückgezogen hatte.
»Ist das ein Stück der alten Kanalisation?«, fragte Faustus.
Im Gegensatz zu Spiritus musste er sich bücken, um nicht mit dem Kopf an der Decke anzustoßen.
Der Junge nickte. »Aus der Zeit der römischen Kaiser. Das meiste ist verschüttet, aber hier und da gibt es noch einige Schächte, meist nicht tief unter den Straßen. Räuber benutzen sie als Verstecke oder Lagerräume.«
»Und der hier?«
»Hierher wagt sich keiner, nachdem ich ein paar von diesen Ratten mit dem Bogen begrüßt habe.«
Der Tunnel endete an einer Art Rampe aus Stein und Erdreich. Irgendwann war hier einmal die Decke eingebrochen. Spiritus drängte sich in der rechten Wand durch einen Spalt, den Faustus beinahe übersehen hätte. Dahinter lag ein Hohlraum, der einst offenbar Teil eines parallel verlaufenden Kanals gewesen war. Er maß nur sechs oder sieben Schritte und war an beiden Enden zugeschüttet. Auf dem Boden lag eine Decke, außerdem stand dort eine hölzerne Kiste. Spiritus entriegelte sie und zog zwei Stücke Pökelfleisch und einen trockenen Brotlaib heraus.
»Ich vermute, du hast noch nicht gefrühstückt, Zweiter unter den Magiern.«
»Nenn mich nicht so.« Nichtsdestotrotz nahm der Doktor, was ihm angeboten wurde. Er war nicht wirklich hungrig – er brauchte im Allgemeinen wenig Nahrung –, dennoch war er dankbar, dass der Junge seinen Besitz mit ihm teilte.
»Alexander hat dich gefragt, warum du dich so nennst. Verrätst du es mir?«
Faustus schüttelte den Kopf. »Ich frage dich auch nicht nach deinen Geheimnissen.«
»Es gibt nicht viele.«
»Das bezweifle ich. Wer sich an solchen Orten verstecken muss und es mit den Männern des Borgia aufnimmt, muss eine Menge Geheimnisse haben.«
Spiritus lächelte bescheiden. Es war verblüffend, wie ähnlich er dem wieder geborenen Borgia sah und doch mit seiner Mimik Empfindungen ausdrücken konnte, die Alexander vollkommen fremd waren. »So wie ihr beiden miteinander gesprochen habt, scheinst du das meiste bereits zu wissen.«
Faustus nickte. »Ich kenne die Geschichte der Engelskrieger. Ich weiß, dass drei von euch ausgesucht wurden, um … einem besonderen Zweck zu dienen.« Er war nicht sicher, ob Spiritus wusste, dass man ihm zugedacht hatte, als Gastkörper der wieder geborenen Lucrezia herzuhalten.
»Wie hast du davon erfahren?«, fragte der Junge.
»Das ist eine lange Geschichte. Zu lang für diesen Ort und diesen Tag.«
»Ist es wahr, dass du unsterblich bist?«
Faustus lag eine seiner üblichen Erwiderungen auf der Zunge, mit denen er stets widersprach, wenn man ihn mit den Gerüchten über seinen Pakt konfrontierte. Doch etwas hielt ihn davon ab, Spiritus mit der gleichen vorgefertigten Antwort abzuspeisen. Der Junge hatte ihm das Leben gerettet, und er steckte tiefer in dieser Angelegenheit als die meisten anderen, die damit zu tun hatten. Er war einer der Drei. Einer der Auserwählten.
»Ich habe mich in Ägypten mit Dingen beschäftigt, die manch einer Zauberei nennen würde«, erklärte Faustus vorsichtig. »Es kam zu Anrufungen gewisser Gottheiten, an die heute niemand mehr glaubt, und zu … Vereinbarungen.«
»Mit Anubis?«
»Du weißt, wer das ist?«
Spiritus verzog das Gesicht. »Ich lebe vielleicht auf der Straße, aber das heißt nicht, dass ich dumm bin. Die Lehrmeister des Vatikans haben mich jahrelang mit ihrem Wissen gefüttert, damit ich bereit bin für den Tag, an dem Lucrezia und Cesare den Streit mit ihrem Vater beilegen.«
»Wie bist du ihnen entkommen?«
»Irgendwann begriff
Weitere Kostenlose Bücher