Die neue Lustschule
Der empörte Aufschrei, nicht als «ganze Frau» gemeint zu sein, wenn der Mann sexuellen Kontakt möchte, kann durchaus auch auf ein vorhandenes narzisstisches Defizit mit entsprechender Luststörung hinweisen, die es erschwert oder gar unmöglich macht, die sexuelle Begegnung zu genießen und als Bestandteil einer ganzheitlichen Beziehung zu erleben. Sexueller Kontakt und eine verbale, emotionalintime Begegnung schließen sich ja wahrlich nicht aus. So, wie eine offene und erotische Begegnung gut im Bett landen kann, so lässt sich das Geschehen im Bett ebenso gut als Grundlage für eine ehrliche und befriedigende Beziehung nutzen. Die Verbindung dieser Ebenen ist ein «Kopfgeschehen», das stark vom Selbstwerterleben abhängig ist.
Angst, Schuld und Scham, die aus entwicklungspsychologischen Verletzungen und Defiziten, aus entfremdender Erziehung und moralisierender Einschüchterung resultieren,erschweren das Vergnügen an körperlicher Lust. Und Luststörungen belasten die Beziehung, da sie Unsicherheit und Peinlichkeit bewirken und leider oft genug dem Partner dafür die Schuld gegeben wird. Was halte ich von mir? Wie stehe ich zum Sex? Was erwarte ich vom Partner? – solche Fragen fließen permanent – meist unbewusst – in das sexuelle und Beziehungserleben ein und beeinflussen das reale Geschehen, Wahrnehmen und Bewerten in entscheidender Weise. Hier kann nur gründliche Selbsterkenntnis und partnerschaftliche Kommunikation Abhilfe schaffen.
Andererseits bieten Körperlust und Beziehungslust gute Möglichkeiten, auf natürlichem Wege narzisstische Bestätigung zu erfahren. Besonders für leistungsstarke, unabhängige Frauen, die ansonsten stets Aufwand betreiben, um Aufmerksamkeit und Anerkennung zu finden, kann es ein sehr gutes Gefühl sein, begehrt zu werden, ohne dafür viel unternehmen zu müssen. Für einen Mann ist es in aller Regel ein großartiges Gefühl, wenn die Frau seinen Bedürfnissen auch entspricht. Auf diese Weise lässt sich ein narzisstisches Grundbedürfnis, nämlich gewollt und gemocht zu werden, auf ganz direkte Art und Weise befriedigen. Wer immer wieder erfährt, willkommen zu sein und begehrt zu werden, der lebt im Grunde in paradiesischen Verhältnissen.
Sexuelle Bedürfnisse sind eine hervorragende Möglichkeit, sich auf gesunde Weise narzisstisch zu befriedigen, und narzisstische Bedürfnisse bieten eine großartige Bühne, auf der sich Sexualität zeigen und vielfältig entfalten kann. Triebdruck macht den Partner schön; die Chance, Bestätigung zu bekommen, macht den Partner begehrenswert. Wirkliche Schönheit und erotische Ausstrahlung werden viel stärker durch eine angemessene Selbstliebe und Lustfähigkeit hervorgerufen als durch eine entsprechende äußere Aufmachung.Schönheit und Erotik kommen wirklich von innen, das wird einem mit zunehmendem Alter immer deutlicher. Welche abartigen Wege doch die sogenannte Schönheitschirurgie geht!
Die subjektive Bewertung eines Partners wird ganz wesentlich durch die Erfahrung bestimmt, dass er für einen verfügbar ist sowie die Fähigkeit und auch die Bereitschaft besitzt, ein Gefühl der Bestätigung hervorzurufen.
Wer einem guttut, der ist auch schön und wird gern gemocht. Wer jedoch nur «schön» ist und sich weder hingeben noch liebevoll zuwenden kann, der wird bald langweilig und durch die Sorgen und Bemühungen um das Äußerliche auch belastend. Die «Nützlichkeit» eines Partners ist wohl ein sehr nüchterner Blick auf die Liebe, aber eine sehr hilfreiche Perspektive für guten Sex und eine befriedigende Beziehung.
Wer dagegen mit Fragen wie denjenigen zu kämpfen hat, ob er eine Belastung und Zumutung darstellt, ob er auch gut genug im Bett ist, ob er alles richtig macht oder zu viel will bzw. erwartet, ob er sich gefahrlos hingeben darf, ob er bestimmte Leistungen erbringen muss oder auch nicht zu geil wird, ob er egoistisch sein darf oder bedienen muss, in dessen Kopf werden auch die sexuellen Aktivitäten entsprechend negativ bzw. einseitig bewertet.
Die meisten Menschen, die Hilfe für ihren Sex und die Partnerschaft suchen, sind mit den genannten Einstellungen und Haltungen belastet. Nur wissen sie es nicht oder wollen es nicht wahrhaben. Es schmerzt immer, eigene Behinderungen zur Kenntnis nehmen zu müssen; da wäre es doch besser, es läge am Verhalten des Partners, der sich eben ändern müsse, damit alles gut wird. Manchmal werden auch hilfreiche Wirkungen von Medikamenten erhofft, was
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