Die neue Lustschule
im Zusammentreffen großes Vergnügen und Befriedigung bieten, hingegen bei fehlender Übereinstimmung größte Konflikte und Kränkungen verursachen können.
Die gegenteilige Konstellation ist ebenso gut möglich, da möchte die Frau über den Schwanz ihres Partners nach Belieben verfügen und ihn auf verschiedene Weise zur Luststeigerung benutzen, und er ist glücklich und stolz, so gebraucht zu werden und dabei gar nicht viel machen zu müssen. Sie kann endlich mal eine abhängige Position des Arbeitsalltages verlassen, und er ist davon entlastet, dominieren zu müssen. Den attraktiven oder geliebten Körper des Partners umfassend anzuschauen, zu berühren, hin- und herwenden zu können und unterschiedliche genitale Vereinigungen auszuprobieren kann ein großes Vergnügen für alle Sinne bedeuten, noch fern von jeglichem Druck, zu ejakulieren oder einen Orgasmus zu entwickeln. Von der inneren Befindlichkeit zu passenden sexuellen Stellungen zu findenbietet bessere Chancen zur Zufriedenheit, als den Leistungs- und Akrobatikweg zu gehen, alles machen zu wollen, was man irgendwo gehört, gelesen oder gesehen hat. Sexuelle Lust erlernt man kaum aus Büchern, sondern mit Hilfe reflektierter Erfahrungen.
So bieten die verschiedenen sexuellen Positionen hervorragende Möglichkeiten, unterschiedlichsten Bedürfnissen nachzugehen und diese auch auszuleben. Machen Sie Erfahrungen damit, wenn Sie bedient sein wollen oder den anderen benutzen möchten, wenn Sie lieber mit entschlossener Bestimmtheit vorgehen oder sich vertrauensvoll mitnehmen lassen wollen; wie es «sich anfühlt», wenn Sie endlich einmal danach handeln, wonach Ihnen wirklich ist, und sich dabei bestätigt erleben, und wie angenehm es sein kann, nicht besonders aktiv werden zu müssen. Solche Unterschiede sind vom Geschlecht unabhängig; aufgrund charakterlicher Einengungen und von Beziehungsritualen, die wie Fesseln wirken, kann man aber womöglich nicht frei darüber verfügen. Mitunter machen dann Phantasien auf unterdrückte und tabuisierte Wünsche aufmerksam, die innerseelische oder Beziehungskonflikte signalisieren, welche man zur Sprache bringen oder mit therapeutischer Hilfe klären kann.
Sexualität ist immer auch ein Diagnostikum und – wenn man so will – ein vergnügliches therapeutisches Übungsfeld. Durch das Ausprobieren verschiedener Stellungen kann man viel über sich selbst und die momentane Befindlichkeit erfahren. So ist die situative Auswahl und Bevorzugung bestimmter sexueller Positionen weniger ein Thema von Technik und Leistung, sondern eher eine gute Möglichkeit, die innerseelische und beziehungsgetragene Befindlichkeit und Bedürftigkeit zu gestalten.
Orgastische Potenz
Wilhelm Reich (1897–1957)[ ** ] hat den Begriff der «orgastischen Potenz» geprägt und damit die Grundlage geschaffen sowohl für das Verständnis der Qualität des sexuellen Lusterlebens als auch für die Quantität der Entspannungschancen durch Sexualität. Für meine Arbeit und mein Verständnis der Bedeutung von Sexualität für die somato-psycho-soziale Gesundheit oder Erkrankung bildet «orgastische Potenz» eine wesentliche Orientierung in diagnostischer wie auch in therapeutischer Hinsicht.
Innerseelische Konflikte und Beziehungsstörungen beeinträchtigen immer die orgastische Potenz. Luststörungen weisen nachdrücklich auf unbewusste und damit unerkannte seelische Probleme oder auch auf verleugnete Beziehungskonflikte hin. Meine weiteren Ausführungen basieren auf den Reich’schen Erkenntnissen, soweit ich sie aus meinen Erfahrungen bestätigen kann.
«Orgastische Potenz» muss von der Fähigkeit zur Erektion und zur Ejakulation unterschieden werden. Auch die lustvolle Erregung des weiblichen Genitals mit Anschwellen und Feuchtwerden ist damit nicht gemeint. Dieser Unterschied wird meistens nicht gemacht und auch nicht verstanden. Wenn Männer mit ihrer Potenz prahlen, meinen sie vor allem die Härte und Dauer ihrer Erektion (die sich etwa auch durch Viagra pharmakologisch herstellen lässt), sie meinen die Häufigkeit, mit der sie Geschlechtsakte vollziehen können, mitunter auch die Heftigkeit ihrer sexuellen Motorik oder gar nur ihre Penisgröße im Sinnevon großer Schwanz gleich große Potenz (was natürlich Unsinn ist).
Meistens nicht berücksichtigt wird hingegen die Qualität des Lusterlebens. Das häufige und wiederholte Verlangen nach sexueller Aktivität ist in aller Regel gerade nicht ein Ausdruck besonderer orgastischer Potenz,
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