Die neue Lustschule
relativ frei entscheiden zu können. Darin bilden sich frühe Erziehungsstrenge, Einschüchterungund Verängstigung, aber auch elterlicher «Vampirismus» und emotionale Ausbeutung ab. Wer also starkem elterlichen Zwang und Druck ausgesetzt war, in hohem Maße zu Disziplin, Ordnung und Pflichterfüllung angehalten oder durch rigide Moralvorstellungen eingeengt wurde, der kann sich auch später schwerlich spontanen Gelüsten überlassen und die Kontrolle über ein enges Normengebäude aufgeben. Wer keine individuellen Bedürfnisse entwickeln und nicht spontanemotional reagieren durfte, wessen Eltern alles besser wussten, nur belehrt und das Verhalten ihrer Kinder ausschließlich ihrem Willen unterworfen haben, der bleibt eingeengt und angstvoll darauf bedacht, keine Fehler zu machen, so dass unwillkürliche Reaktionen sexueller Lust ängstigen müssen und eine verströmende Hingabe unmöglich wird. Es gibt indessen auch Eltern, die die Gedanken und Gefühle ihrer Kinder besetzen und ihnen weder Geheimnisse noch einen eigenen Willen lassen – auch in diesem Fall wird die Sexualität durch Plan, Struktur und Regeln eingeengt und ein Kontrollverlust im Grunde unmöglich. Ganz frühe traumatische Erfahrungen, wie sie aus «Mutterbedrohung» oder sexuellem Missbrauch resultieren, verleihen natürlich bereits allen Formen sexueller Annäherung bedrohlichen Charakter und behindern einen genussvollen und zärtlichliebevollen Umgang mit erotischer Zuwendung und dem Sexualakt. Dann muss meistens alles eher schnell und heftig erfolgen. Um von dem als bedrohlich empfundenen Sex abzulenken, muss viel konfliktgeladene Spannung erhalten bleiben, mit der Folge, dass genussvoller Spannungsaufbau und vertrauensvolle Hingabe so gut wie ausgeschlossen sind.
Um loslassen, um sich dem vegetativen Prozess überlassen und unwillkürliche Muskelkontraktionen zulassen zu können, ist eine relative Freiheit von aufgestauten Gefühlen undverdrängten Konflikten sehr hilfreich. Es ist eine spezifische körperpsychotherapeutische Erfahrung, dass sich unterdrückte Gefühle und ungelöste Konflikte in Muskelverspannungen, Körperhaltungen und muskulären Gegenreaktionen (z.B. sich steif machen, Atem anhalten, sich verkrampfen) manifestieren und infolgedessen unwillkürliche Muskelbewegungen einschränken und verhindern. Die körperpsychotherapeutische Praxis zeigt, dass Gefühlsentladungen aus aufgestauten Konflikten und Defiziten
vor
dem Sex meistens auch das sexuelle Lusterleben – die orgastische Potenz – verbessern. Schwerwiegende ungeklärte (natürlich auch unbewusste) seelische Belastungen beeinträchtigen hingegen das sexuelle Lusterleben erheblich – eine Einsicht, die sich auch umkehren lässt: Die fehlende oder ungenügende Entspannung durch Sexualität nährt energetisch die psychischen, psychosomatischen und psychosozialen Konflikte.
Arbeit an der «orgastischen Potenz» ist analytische Erinnerungsarbeit, emotionale Körperarbeit und empathische Beziehungsarbeit. Daran wird die Ganzheit von Lust und Beziehung deutlich. So verstehe ich heute «orgastische Potenz» als einen komplexen Vorgang, dessen Qualität sich verbessern lässt:
• wenn man körperlich gut «laden» und «entladen» kann;
• wenn man den Partner mit allen Sinnen zu genießen vermag;
• wenn man bereit ist, dem Partner bei seinem Orgasmus behilflich zu sein;
• wenn man sich vom Partner willkommen erlebt und liebevoll bestätigt weiß;
• wenn man das eigene sexuelle Handeln als «gottgefällig» (ohne Scham und Schuld) akzeptieren kann und die Vereinigung zweier «Energiefelder» als eine Qualität erfährt, die über die individuellen Möglichkeiten hinausreicht.
Wie komme ich zum Orgasmus?
Wenn in einer vertraulichen Sprechstunde ehrlich und differenziert über Sexualität reflektiert wird, steht oftmals schließlich die Frage im Raum: «Und wie komme ich zum Orgasmus?» Oder: «Wie kann ich meine Orgasmusfähigkeit verbessern?» Damit sind Frauen wesentlich häufiger beschäftigt als Männer. Zu Recht und zu Unrecht! Zu Recht, weil Frauen keinen sichtbaren Entladungsvorgang – wie die Ejakulation – vorweisen können, und zu Unrecht, weil von den meisten Männern und Frauen Ejakulation und Orgasmus nicht unterschieden werden. Werden jedoch Samenerguss und orgastische Welle differenziert, haben Männer nicht weniger Orgasmusbehinderungen als Frauen. Hinsichtlich der Problematisierung dieses Themas sind Frauen sogar im Vorteil insbesondere dann,
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