Die neue Lustschule
dieser Hinsicht lediglich seine Freiheit lassen, es muss bestenfalls ermutigt, unterstützt und natürlich auch beschützt werden. Das Kind entdeckt sich selbst, indem es seinen Körper wahrnimmt, untersucht und mit ihm experimentiert. «Ich bin mein Körper» – sagen die Körperpsychotherapeuten. Im Körper nehme ich mich wahr, der Körper transportiert das Befinden und drückt die Gefühle aus, der Körper bildet die Stimmung ab. Im Laufeder Jahre werden Körperform, typische Körperhaltungen und Bewegungsformen zum Abbild der Individualität. «Zeig mir deinen Körper, und ich sage dir, wer du bist!» – «Körperlesen» ist eine sehr ergiebige und differenzierte Möglichkeit, den Menschen zu erfahren.
Das Kind, das sich geborgen im Wohlwollen seiner Eltern entwickelt, findet schnell heraus, wie es körperlich Wohlbefinden ausdrücken, sich liebevolle Zuwendung sichern und sich selbst durch Berührungen und bestimmte Körperhaltungen und -lagerungen angenehme Empfindungen verschaffen kann. Wenn die guten Eltern durch Berühren, Streicheln, Massieren und Kuscheln auch den Körperkontakt pflegen, drücken sie ganz unmittelbar liebevolle Zuneigung aus. Entscheidend dabei ist die Intention der Berührung, ob sie gibt oder nimmt, ob sie in liebevoller Zuwendung oder aus genervter, mit Schuldgefühlen behafteter Verpflichtung geschieht. Das Kind spürt schon, ob es auch gemeint ist oder lediglich «abgepfuschert» wird.
Der Körperkontakt vermittelt ein Selbstgefühl. Das Kind spürt dabei die eigenen Grenzen, und in der wahrgenommenen Körperlichkeit erfährt es seine Individualität. Über Berührung wird ihm die Qualität der Beziehung auf direktem Wege vermittelt. Die Anregung durch Berührungen und die Ermutigung zur Selbstberührung sind sehr wertvolle Entwicklungs- und Beziehungshilfen. Eine solche positive Einstellung vorausgesetzt, wird das Kind sich ausgiebig selbst berühren und untersuchen und dabei ganz selbstverständlich herausfinden, was ihm besonders angenehm ist und was nicht. Die Berührung der Genitalien und das lustvolle Spielen an ihnen sind ganz natürliche Verhaltensweisen, denen man in keiner Weise mit Einschüchterung begegnen sollte. Der lustvolle Umgang mit sich selbst sichert am besten eine positive, liebevolle und friedfertige Einstellungzu sich und der Welt. Das historisch tief verwurzelte Berührungstabu der Genitalien gehört zu den verhängnisvollen Ursachen menschlicher Fehlentwicklungen mit oftmals destruktiven Folgen.
Wem eigene Lusterkundung versagt wird, dem fehlen angenehme, entspannende und befriedigende Selbsterfahrungen, mit der Folge, dass die Welt unter den Vorzeichen von Belastung, Repression und Ablehnung erlebt wird, wogegen dann verständlicherweise rebelliert wird. Ein «exzessives Masturbieren» gibt in aller Regel einen Hinweis auf den Liebes- und Zuwendungsmangel, an dem das betreffende Kind leidet. Es will sich dann wenigstens über die Selbstbefriedigung etwas Abhilfe verschaffen. Nicht das Kind ist dann der zu behandelnde «Patient», sondern die Eltern als die Verursacher der kindlichen Not. Sie bedürfen der Aufklärung, Beratung, Hilfe, Therapie oder Strafe. Auf keinen Fall aber sollte das genitale Luststreben des Kindes, sofern es der Kompensation von Beziehungs- und Befriedigungsdefiziten dient, geahndet werden, denn schließlich nutzt das Kind lediglich das natürliche Mittel der Selbstfürsorge. Sobald auf seine Bedürfnisse mit angemessener Zuwendung und Bestätigung reagiert wird, braucht das Kind auch keine einseitige und übermäßige sexuelle Selbstbefriedigung mehr.
Die frühe Entdeckung und Bejahung lustvoller Selbstberührungen bilden auch die besten Voraussetzungen für den Zugang zur Lust im Erwachsenenleben. Hingegen führt das frühe Berührungstabu bei sehr vielen Menschen zu einer erschreckenden Sprachlosigkeit gegenüber allem, was sich «untenrum» abspielt. Die Verbote der Eltern, deren einschüchternder und schamvoller Umgang mit der kindlichen Genitalität, schränken die Fähigkeit des Kindes zu differenzierter Wahrnehmung, zu verbalem Austausch und zu lustbetontenSelbstberührungen meist erheblich ein. Und so wird später auch der partnerschaftliche Austausch über das, was einem sexuell gefällt oder nicht, wesentlich erschwert sein oder gar nicht gelingen. Liebevolle Eltern berühren, streicheln, massieren ihre Kinder ganz selbstverständlich und gern. Dabei bleiben die Genitalien häufig betont ausgespart, aus Furcht davor,
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