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Die neue Lustschule

Die neue Lustschule

Titel: Die neue Lustschule Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Joachim Maaz
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meidet Passivität vielleicht aus dem Grund, weil sie die unerfüllte und verleugnete Sehnsucht sowie alte Abhängigkeiten auf schmerzliche Weise wieder spürbar machen könnte. Und wer sich nur passiv überlassen kann, dessen autonome und egoistische Funktionen sind beschädigt; er ist gefährdet, die früh erlebte Repression in unglücklicher Weise auf den Sexualpartner zu verschieben. Andererseits könnte die besondere Intimität einer sexuellen Beziehung wesentlich dazu beitragen, das in der frühen Entwicklung auferlegte Verhalten abzubauen; dies setzt allerdings eine Verständigung über die Schwierigkeiten und Ängste voraus.
Zärtlich oder geil
    Das häufigste Problem sexueller Abstimmung besteht in der ungeklärten, nicht selten auch unklaren Unterscheidungvon zärtlichen und geilen Bedürfnissen. In der Beratungspraxis klagen vor allem Frauen darüber, dass ihr Wunsch nach Zärtlichkeit fast regelmäßig vom Partner auf missverständliche Weise als sexuelles Angebot oder Interesse gedeutet werde und dann auf beiden Seiten zur Enttäuschung führe. Selbstwahrnehmung und Selbstdeutung der Bedürfnislage sowie ihre angemessene Kommunikation sind deshalb unerlässlich.
    Der Wunsch nach zärtlichem Austausch und der nach sexueller Aktivität stammen aus sehr unterschiedlichen seelischen Bedürfnissen. Der liebevolle Körperkontakt ist ein entwicklungspsychologisch ganz frühes Bedürfnis nach mütterlicher Zuwendung im umfassenden Sinn: Berührung transportiert Annahme, Bestätigung, Bejahung und sättigt ein narzisstisches Grundbedürfnis, das sich in der frühen Entwicklung in besonderer Weise sensorisch erfüllt. Dieses körperlich vermittelte Grundbedürfnis bleibt ein Leben lang erhalten – viele Aspekte des Wellnessbooms lassen sich auf diese Weise erklären. Wer unter «Muttermangel» zu leiden hatte, der wird besonders nach Körperkontakt lechzen. Bis heute ist der Kuschelwunsch eher bei Frauen als bei Männern beheimatet – was nicht nur den überlieferten kulturellen Rollenzuschreibungen zu verdanken ist, sondern vermutlich auch dem Umstand, dass Frauen den zärtlichen Möglichkeiten und Fähigkeiten körperlicher Zuwendung näher sind. Männer dagegen wehren meiner Erfahrung nach zärtliche Bedürfnisse sehr häufig ab, weil sie der Rolle des «Starken» gerecht werden wollen und den väterlichen Aufgaben der Ablösung von der Mutter näherstehen.
    Genital-sexuelle Bedürfnisse hingegen sind entwicklungspsychologisch gesehen «jüngeren Datums» – ich vermeide die Bezeichnung «reifer», um möglichst keine Wertung aufkommen zu lassen; denn zärtliche und sexuelle Bedürfnissesind gleichberechtigt, vom Anfang des Lebens bis zu seinem Ende. Der Beginn der genitalen Sexualität mit der Fähigkeit zur orgastischen Lust erfolgt im Verlaufe der Pubertät. Zärtliche Selbstberührungen der Genitalien lassen sich als Brückenerfahrung vom infantilen hin zum sexuell orientierten Körperkontakt verstehen. Gut versorgende Eltern werden ihre Kleinkinder häufig ganzkörperlich zärtlich berühren, streicheln, massieren und dabei auch die Genitalgegend nicht auffällig aussparen oder besonders betont «behandeln». Selbstverständlich muss ihr Zuwendungsinteresse auch zärtlichliebevoller Natur sein und nicht eigener sexueller Bedürftigkeit entspringen. Das notwendige Berührungsverbot, das erwachsene Pflegepersonen gegenüber Kindern unbedingt einhalten müssen, bezieht sich auf ihre sexuelle Motivation. Sexuelle Handlungen an Kindern sind zu Recht unter Strafe gestellt, um das frühe Zärtlichkeitsbedürfnis des Kindes nicht für sexuelle Interessen Erwachsener auszunutzen und zu missbrauchen. Fehlleitung und spätere Verwechslung der Bedürfnislagen dürften häufig in der frühen unklaren oder zweideutigen Zuwendung durch die erwachsenen Pflegepersonen ihren Ursprung haben.
    Ich kenne viele männliche Patienten, die jede zärtliche Berührung sofort sexualisieren, weil sie selbst keine frühe liebevolle Berührung erfahren haben und diese Erfahrung auch als erwachsene Männer scheuen, um nicht an den frühen Mangel erinnert zu werden. Ebenso kenne ich Patientinnen, die sich als immer wieder in sexuelle Handlungen verwickelt erleben – («Bin ich wieder im Bett gelandet») –, nur weil sie zärtlichen Liebkosungen und narzisstisch-aufwertenden Komplimenten geglaubt und diese gerne entgegengenommen haben. Sie schreien dann: «Hilfe, Vergewaltigung!» Und die Männer reagieren mit verärgerter Abwertung

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