Die neue Rasse
prasselnde Regen drang ihm, vom Wind gepeitscht, sogar in den Mund, nachdem er ihn bereits bis auf die Haut durchnäßt hatte.
Er hatte gehofft, die Church of St. Margret noch zu erreichen, bevor die tiefhängenden Wolken über Brooklyn ihre schwarzfetten Bäuche platzen ließen. Doch das Gewitter hatte angefangen, kurz nachdem er die U-Bahn-Station an der John Street im Schatten der Manhattan Bridge verlassen hatte. Und bevor der junge Schwarze sich irgendwo unterstellen konnte, hatten die niederstürzenden Wassermassen schon ihr Bestes getan, um ihn regelrecht durchzuweichen.
So marschierte er nun, ein ganzes Stück schlechter gelaunt, mit der Werkzeugkiste unter dem Arm weiter in Richtung Navy Yard Bassin, in dessen Nähe die Margret-Kirche lag.
Father Cyrill würde ihn schon wieder aufmuntern. Nachdem er ihm erst einmal ein Handtuch gegeben hatte.
Bis vor kurzem hätte Reuven jeden ausgelacht, der ihm vorausgesagt hätte, daß er einmal fast regelmäßig zur Kirche gehen würde. Und nun tat er genau das.
Und er glaubte sogar an Gott! Weil ihm Father Cyrill das Bild von dem alten Mann mit dem weißen Rauschebart, dessen Hauptaufgabe darin bestand, Heerscharen harfezupfender Engelein zu behüten, gründlich ausgeredet hatte. Der Geistliche hatte Reuven, als er Trost und Hilfe suchte, jene allmächtige Kraft gewiesen, aus der jeder schöpfen durfte, wenn er nur bereit und willens war.
Reuven war es. Seit er Father Cyrill kannte.
Und weil der Junge unter dem Motto aufgewachsen war, das besagte, daß einem im Leben nichts geschenkt wurde, revanchierte er sich mit seinen Mitteln bei Father Cyrill. Aber nicht nur deshalb. Sondern auch, weil der Priester ein feiner Kerl war.
Heute wollte Reuven die losen Fenster der Kirche befestigen, ehe die wunderschönen und sehr alten Glasbilder noch aus den Rahmen brachen. Eine Spritze und Kittmasse hatte er auf dem Herweg gekauft. Von dem Geld, das er gestern abend drunten am Hafen verdient hatte.
Die Church of St. Margret war dem Jungen schon immer winzig er-schienen. So klein fast, daß nur der sie fand, der wußte, wo er sie zu suchen hatte. Heute schien ihm das im Gothic-Revival-Stil erbaute Gotteshaus noch geduckter dazustehen, als würde es erdrückt von den schwarzen Wolkenbergen, die beinahe noch die Spitze des kleinen Turms berührten.
Die letzten Schritte zu der doppelflügeligen Eingangstür rannte er, die wenigen Stufen davor nahm er im Sprung, und dann schlüpfte er rasch hinein - um wie von einem Hammerschlag getroffen stehenzubleiben!
Er hatte ja schon einige merkwürdige Gestalten in Father Cyrills Gesellschaft angetroffen, aber das hier übertraf alle vorherigen Erfahrungen noch.
Der Geistliche saß seelenruhig neben einem - - Nackten!
Der blinden Augen des Priesters, die Reuven jedesmal wieder an weißes Gelee denken ließen, ruhten auf einem Mann mit fast milchbleicher Haut und dunklem, schulterlangem Haar, der keinen Faden am Leib trug. Und Father Cyrill schenkte ihm das gleiche gütige Lächeln, mit dem er sich jedem Besucher seiner Kirche widmete.
Die Überraschung steckte dem jungen Farbigen wie Blei in den Gliedern. Lahm näherte er sich den Sitzenden, passierte sie und konnte den Nackten nun von vorne sehen.
Und seine Verblüffung wandelte sich in namenloses Entsetzen!
Seltsamerweise, und er wunderte sich wie auf einer anderen Ebene seines Denkens selbst darüber, hatte er keine Mühe, zu akzeptieren, was er da sah. Was er hinter den leicht geöffneten Lippen des Nackten erkannte .
Was - um Gottes willen - hatte ein Wesen wie dieses hier zu suchen?
Wie konnte es hier sein, ohne zu . verbrennen, zu Asche zu werden oder was auch immer?
Wie konnte - - ein Vampir eine Kirche betreten?!
*
Trotzdem sie nichts verspürte, was ihr eine drohende Gefahr verraten hätte, ließ Lilith Vorsicht walten. Katzengewandt überkletterte sie das verschlossene Tor und schlich lautlos, wie es ihre Natur war, durch das verfilzte Gestrüpp, welches das >House of Awakening< wie ein bizarr gewachsener Schutzwall umschloß.
Schließlich, nachdem sie immer wieder lauernd verharrt hatte, schlüpfte sie in den Schatten, der sich wie eine dunkle Haut um das Gebäude schmiegte.
Aus der Nähe erkannte Lilith, daß die seltsamen Wucherungen des Hauses, die sie von der Straße her ausgemacht hatte, in Wahrheit steinerne Figuren waren, die auf allen möglichen Erkern und Vorsprüngen hockten und die keine realen Vorbilder haben konnten. Es sei denn, der Künstler, von
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