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Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland (Beck'sche Reihe) (German Edition)

Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland (Beck'sche Reihe) (German Edition)

Titel: Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland (Beck'sche Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Ulrich Wehler
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sich jedenfalls aufgrund der spezifischen bundesrepublikanischen Bedingungen die konfessionellen Unterschiede, die vor kurzem noch so unauslöschlich tief eingefressen gewirkt hatten, so gut wie aufgelöst. Von den Dimensionen der Sozialen Ungleichheit war damit eine lange Zeit besonders restriktiv wirkende Gestaltungsmacht des gesellschaftlichen und politischen Alltagslebens verschwunden.

14.

Die Ungleichheit in der Alltagswelt
    Aus den zahlreichen Problemen des Alltagslebens sollen hier nur einige Fragen zur Ungleichheitsproblematik herausgegriffen werden. Zu den charakteristischen Kennzeichen unserer Gegenwart gehört es, dass wir im Zeitalter einer Massenmedienkultur leben. Dieser Sammelbegriff bedarf freilich sogleich der Differenzierung. Denn einem tendenziell homogenisierenden Medienkonsum auf der einen Seite stehen auf der anderen Seite auch scharfe Unterschiede gegenüber. Das Privatfernsehen z.B. hat sich weithin als Unterschichten-TV etabliert und bis heute auch nicht stellenweise das Niveau der Öffentlich-Rechtlichen Anstalten erreicht – offenbar auch nie erreichen wollen. Gleichzeitig hat sich eine neue soziale Auflage der klassischen Hochkultur eingestellt, denn Theater und Oper sind zu Zielen eines anschwellenden Zustroms von Besuchern geworden.
    Entgegen aller Kritik, dass sich das Fernsehen als Hauptmedium mit erdrückender Macht rundum durchsetzen werde, ist die Bedeutung des Zeitungswesens erstaunlich stabil geblieben. Mindestens 24 Millionen Tageszeitungen finden täglich ihre Leser, die meisten treue Abonnenten ihrer Lokal- und Regionalzeitungen. Die großen überregionalen Zeitungen wie die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» und die «Süddeutsche», der «Tagesspiegel» und die «Stuttgarter Nachrichten» sind unverändert im Stande, wichtige politische Probleme so nachdrücklich als Erste auf die Tagesordnung zu setzen, dass sie von politischen Gremien wie dem Bundestag aufgegriffen werden müssen. Dieses essentiell wichtige Forum der öffentlichen Meinung verdient daher gegenüber allen Kauf- und Verkaufsdrohungen praktikable Schutzmaßnahmen. Glücklicherweise wird die Meinungsbildung in den großen überregionalen Zeitungen durch wöchentlich erscheinende Magazine wie «SPIEGEL» und «FOCUS» vorangetrieben. Jede unorthodoxe Schilderung der deutschen Innenpolitik seit 1949 kommt um die Anerkennung der Schlüsselrolle, die der «SPIEGEL» als Teil der vierten Gewalt gespielt hat, nicht herum. Diese Anerkennung der Wirkung der großen Tageszeitungen und der Magazine impliziert in gewisser Hinsicht ein elitäres Argument, aber auf ihm beruht die Funktionstüchtigkeit der kritischen öffentlichen Meinung.
    Wachsende Ungleichheit hat sich auch in der Arena des politischen, zivilgesellschaftlichen Engagements ausgebreitet. Auf der einen Seite gibt es unzweideutig einen Verlust von Beteiligungsformen, die lange Zeit auch die Unterklassen, insbesondere die Arbeiterschichten, einbezogen haben. Massenorganisationen wie die politischen Parteien, Gewerkschaften und Vereine haben in den letzten Jahren zusehends Mitglieder verloren. Das lässt sich auch mit irritierender Klarheit an der schrumpfenden Wahlbeteiligung ablesen. Auf der anderen Seite haben sich für die gehobenen Mittelklassen, insbesondere für Akademiker, neue Formen eines aktiven Engagements herausgebildet, wie es in den zahlreichen Bürgerinitiativen und Freien Wählervereinigungen zu Tage tritt. Dringt daher eine von den Mittel- und Oberklassen dominierte Demokratie vor, der Entpolitisierung, Frustration, Rückzug nach «unten» gegenüberstehen? Wie tief und wie breit würde sich daher in einer ernsthaften Krise – um EU, EURO oder einzelstaatliche Verfassungen – die Verteidigung der Demokratie mobilisieren lassen? Die wachsende Kluft zwischen einer politischen Aktivbürgerschaft und einem in Lethargie versinkenden Bevölkerungsteil ist auf jeden Fall irreführend, und das klassische Gegenargument, dass sich in Wohlstandsgesellschaften eben diese Art von Passivität als Reaktion auf geringe Problembelastung ausdehne, ist auch alles andere als tröstlich.
    Ungleichheit regiert auch im Verhältnis zur offiziell erfassten Kriminalität. Sie ist ebenfalls in einem auffallend hohen Maße das Ergebnis von Klassenlagen, denn der Druck der Strafverfolgung und Bestrafung macht sich denkbar unterschiedlich geltend. Jährlich werden in der Bundesrepublik rund 18 Millionen Straftaten registriert, von denen aber nur 35.000 für die

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