Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland (Beck'sche Reihe) (German Edition)
verfolgen. Was wäre geschehen, wenn die Bundesrepublik den Holocaust in diesem Stil schlechterdings geleugnet hätte?
Die türkische Unfähigkeit, mit Minderheiten umzugehen, ist überdies in den letzten Jahren durch die Behandlung der Kurden unterstrichen worden. Denn die Armee hat 45.000 Kurden getötet, 4000 Dörfer und Gehöfte zerstört und 400.000 Kurden zu Flüchtlingen gemacht. Und dann wundert man sich, dass radikalisierte junge Kurden zur militanten Protestpartei, der PKK, stoßen.
Einen solchen osmanischen Großstaat mit einem derartigen Ballast in die EU aufzunehmen, widerspricht allen historischen und vernunftgesteuerten Argumenten. Eine freundschaftliche politische und wirtschaftliche Kooperation reicht im Verhältnis zu Europa als privilegierte Partnerschaft völlig aus. Sie würde es auch vermeiden, dass eine neue türkische Massenzuwanderung die außerordentlich schwer lösbaren Integrationsprobleme der türkischen Migranten in Deutschland noch einmal gewaltig verschärfte. Dagegen ist die Zuwanderung aus den osteuropäischen EU-Ländern, insbesondere aus Polen und Ungarn, in jeder Hinsicht willkommen.[ 25 ]
13.
Die Ungleichheit der Konfessionen
Im klassischen Land der Konfessionsspaltung von Protestanten und Katholiken hatten sich 400 Jahre lang starre religionspolitische Schranken erhalten. Das Kaiserreich von 1871 besaß eine eindeutige evangelische Mehrheit von zwei Dritteln der Bevölkerung, denen eine gegenreformatorisch geprägte Minderheit von Katholiken gegenüberstand. Mit der Bundesrepublik entstand dann ein neuer Staat, in dem zum ersten Mal in der neueren deutschen Geschichte ein tendenzielles Gleichgewicht der beiden Konfessionen existierte. Bis etwa 1980 gewannen die Katholiken sogar ein leichtes demographisches Übergewicht im Verhältnis von 43.5 zu 42.8 Prozent. Das war im Wesentlichen das Ergebnis des Umstandes, dass in West- und Süddeutschland katholische Schwerpunktregionen lagen, sodann der Abtrennung der ganz überwiegend protestantischen Gebiete in der DDR und des Zustroms von Millionen katholischer Flüchtlinge und Vertriebener. Sie lösten die religiöse Monokultur auf, indem z.B. katholische Schlesier in norddeutsche evangelische Gemeinden und protestantische Ostpreußen in das bayrische katholische Kernland aufgenommen wurden.
Die konfessionelle Durchmischung und die im Grunde über Nacht herbeigeführte Verschiebung der Kräftekonstellation hat sich zunächst als Stärkung des katholischen Milieus ausgewirkt. Diese Erfolgsbilanz einer kraftvollen Konsolidierung wurde auch dadurch verstärkt, dass während der ersten 40 Jahre der Bundesrepublik katholische Politiker im Spitzenpersonal fast drei Jahrzehnte lang – von Adenauer bis Kohl – den Ton angaben. Andererseits erlebte diese Zeit aber auch das Ende des traditionellen politischen Katholizismus. Der einst mächtige Verbandskatholizismus entstand nicht wieder aufs Neue. Die Geistlichkeit hielt sich von der politischen Praxis fern. Die Prälatenpolitiker der Weimarer Republik tauchten nicht wieder auf. Dem Zentrum gelang keine Rückkehr in die Politik. Vielmehr stieg die CDU zu einer bikonfessionellen Volkspartei neuen Typs auf. Dieser Christlichen Demokratie gelang es, die durch den Kulturkampf immens verschärfte Diskriminierung der Katholiken als Bürger zweiter Klasse endlich zu überwinden, überhaupt die seit den 1879er Jahren noch immer schwelenden Wunden der Benachteiligung zu heilen. Erstmals gelang es auch katholischen Verbindungen, bei der Besetzung wichtiger Stellen ihren Nepotismus durchzusetzen. Allmählich begann sich die Komposition der höheren Bürokratie zu ihren Gunsten ganz so zu verändern wie die konfessionelle Zusammensetzung der Studentenschaft. Zwar etablierte sich in der CDU ein «Evangelischer Arbeitskreis» prominenter protestantischer Politiker, um gegenüber dem unübersehbaren Vorrang katholischer Konkurrenten und ihrer Leitideen ein Gegengewicht zu schaffen. Doch blieb seine Aktivität im Grunde auf Kooperation eingestellt, jedenfalls weit entfernt von der routinierten Gehässigkeit der traditionellen national- und kulturprotestantischen Kritik.
Trotz des unerwarteten Bodengewinns, den der Katholizismus im politischen Leben Westdeutschlands seit 1949 verzeichnen konnte, setzte in den 60er Jahren eine unaufhaltsame Erosion des vorwiegend kleinstädtisch-ländlichen katholischen Milieus ein. Seine Auslösung wirkte wie der Preis, den es seither für seine erfolgreiche
Weitere Kostenlose Bücher